Wenn in der Zelle Fäuste fliegen

Der Foltermord in Siegburg hat auch Auswirkungen auf Anrath gehabt. Eine Expertenkommission reiste durchs Land und nahm die Anstalten unter die Lupe. Vor einigen Wochen war sie auch in Anrath.

Anrath. Geschlagen. Getreten. Vergewaltigt. Getötet. Über elf Stunden dauerte im November 2006 in der Justizvollzugsanstalt Siegburg das Martyrium für Hermann H.. Drei Mitgefangene hatten sich den 20-Jährigen als Opfer eines grausamen Mordes ausgesucht. Seit einigen Tagen müssen sie sich dafür vor Gericht verantworten. Doch die Tat hat auf alle 37 Justizvollzugsanstalten des Landes Auswirkungen gehabt.

Eine Expertenkommission reiste durchs Land und nahm die Anstalten unter die Lupe. Vor einigen Wochen war sie auch in Anrath. Und hat abgefragt, wie viele Fälle von Gewalt es im Männergefängnis in den letzten fünf Jahren gegeben hat.

"Wir hatten in dieser Zeit neun Fälle. Das ist relativ wenig", sagt Katja Grafweg, Leiterin der Anstalt. Für sie kein Grund zur Entwarnung, von einer Rangliste nach dem Motto: "wenig gemeldete Vorfälle gleich gute Anstalt", will sie nichts wissen. Es gibt nämlich keine Vorschriften, was als Gewalt eingestuft wird und ab wann dies wohin gemeldet werden muss. "Darüber gibt es jetzt eine Diskussion unter den Anstaltsleitern."

Der Siegburger Vorfall habe zudem Überlegungen angestoßen, welche Bedingungen Gewalt im Knast fördern. "Ein großes Problem ist die Überbelegung", sagt Grafweg. Es gibt in Anrath 391 Haftplätze, 455 Männer sind inhaftiert. In den Dreierzellen sind vier untergebracht, sogar manche Einzelzellen mit nur 7,5 Quadratmetern müssen sich zwei Mann teilen.

"Das führt ganz unweigerlich zu Aggressionen", ist Grafweg überzeugt. Was sich an dem Brief eines Gefangenen ablesen lässt, der sich bei der WZ beklagt. "Gewürgt", habe ihn ein Gefangener, "blutig geschlagen" habe derselbe einen anderen. Sein Mitgefangener, mit dem er die Zelle teilen musste, sei "ein Gewalttäter", trat und haute "oft . . . gegen den Schrank", setzte sich (dann) an den Tisch und (sang) Kirchenlieder", ist dort zu lesen.

"Das sind oft Menschen, die ihre Konflikte nicht mit Worten, sondern körperlich austragen." An der räumlichen Enge wird sich in Willich etwas ändern, wenn die Frauen ihren Neubau beziehen und der Männerknast die alten Gebäude der Frauenanstalt nutzen kann.

Kommission: Die Expertenkommission zur Untersuchung des Mordes in der Siegburger Jugendhaftanstalt war am 9. Mai auch in Anrath.

Gewalttaten: In den vergangenen fünf Jahren wurden aus Willich I lediglich neun Fälle von Gewalt gemeldet.

Haftplätze: In Willich I gibt es 391 Haftplätze für 455 Inhaftierte. Viele Zellen sind überbelegt. Gefangene aus überbelegten Zellen erhalten täglich eine Stunde mehr Aufschluss, sie müssen sich nur 22 Stunden darin aufhalten. Ausgenommen Zeiten, in denen sie arbeiten.

Mitarbeiter: Mit der direkten Betreuung und Bewachung der Häftlinge sind 125 Mitarbeiter im allgemeinen Vollzugsdienst beschäftigt.