Nach SEK-Einsatz am Berufskolleg in Kempen Lehrer und Schüler verbarrikadierten sich

Von Birgitta Ronge · Ein 17-Jähriger soll mit einer Waffe hantiert und das Video bei Snapchat hochgeladen haben. Das löste am Donnerstag am Berufskolleg in Kempen einen SEK-Einsatz aus. Lehrer und Schüler verbarrikadierten sich in den Klassen. Eine Schülerin schildert das Erlebte.

Spezialeinsatzkräfte der Polizei durchsuchten am Donnerstag die Räume des Berufskollegs, auch die Mensa.

Foto: Norbert Prümen

Ein 17-Jähriger aus Brüggen soll mit einem Video im Instant-Messenger-Dienst Snapchat den Großeinsatz der Polizei am Donnerstag in Kempen ausgelöst haben. Dort waren gegen 14.50 Uhr Spezialeinsatzkräfte der Polizei angerückt, um den Gebäudekomplex des Rhein-Maas-Berufskollegs an der Kleinbahnstraße zu durchsuchen, während sich Lehrkräfte und Schüler in den Klassenräumen einschlossen und verbarrikadierten.

Schreckschusspistole durchgeladen

Wie Polizeisprecher Wolfgang Goertz von der Kreispolizeibehörde Viersen am Freitag auf Anfrage der Redaktion mitteilt, war in dem Video zu sehen, wie der 17-Jährige im Bereich der Schultoiletten mit einer Waffe hantierte und diese augenscheinlich durchlud. Bei dem Gegenstand habe es sich um eine sogenannte PTB-Waffe, eine Schreckschusspistole, gehandelt, so Goertz.

Video führte zu Großeinsatz

Der 17-Jährige, der aktuell nicht mehr Schüler des Berufskollegs ist, es aber früher besuchte, soll laut Polizei gemeinsam mit einem 18-jährigen Freund unterwegs gewesen sein und das Video bei Snapchat hochgeladen haben, und zwar am Donnerstag.

Das sah eine Schülerin, die daraufhin die Schulleitung informierte. In Sorge, der ehemalige Schüler könne eine Gewalttat an der Schule planen, wurde daraufhin der Großeinsatz der Polizei ausgelöst, der etliche Streifenwagen, Zivilfahrzeuge mit Blaulicht und Rettungswagen auf den Plan rief.

Zunächst ein
ganz normaler Schultag

Es sei eigentlich ein ganz normaler Schultag gewesen, mit Weihnachtsfrühstück und Vorfreude auf die Ferien, erinnert sich eine junge Frau, mit der wir am Tag darauf über das Erlebte sprechen. Sie möchte lieber anonym bleiben. „Dann kam plötzlich eine Lehrerin in unsere Klasse, sie war blass und deutlich nervös, holte unsere Lehrerin auf den Flur“, erzählt sie. Da habe noch niemand gewusst, was passiert war – und nicht geahnt, dass die Klasse die nächsten Stunden in dem Gebäude verbringen würde. „Sie kam rein, hat die Tür zugeknallt, abgeschlossen und einen Tisch davor gezogen. Und wir sollten ihr alle unsere Bücher bringen“, berichtet die Schülerin. Damit sei die Türklinke gesichert worden. Die Lehrerin habe die Schüler beruhigt: Man wisse nicht, was los sei, aber es hätte einen Alarm gegeben. „Wir haben Fenster geschlossen, Gardinen zugezogen und das Licht ausgemacht, sollten uns alle an die Wand setzen“, erinnert sich die junge Frau.

Schüler informierten
ihre Eltern

Als jemand gefragt habe, ob es ein Amokalarm sei, hätten die Schüler unterschiedlich darauf reagiert. Einige hätten auch Panik bekommen. „Wir haben die ganze Zeit geflüstert. Es war eine absolut skurrile Situation, weil niemand wusste, was passiert ist“, so die Schülerin. Sie selbst sei entspannt gewesen, ihr Herz habe nur leise geklopft. Die Lehrerin habe über ihr Handy Kontakt zu ihren Kollegen gehalten, auch die Schüler hätten ihre Eltern informiert, aber: „Wir sollten den Kreis klein halten. Ich habe meinen Eltern geschrieben, dass es mir gut geht“, so die junge Frau. Sie alle hätten versucht, die Stunden mit Humor zu überspielen, das habe sich in der Situation richtig angefühlt, berichtet sie.

Es habe Süßigkeiten in der Klasse gegeben, auch Getränke. „Dann kam aber nach ein paar Stunden das Problem mit der Toilette.“ Eine andere Klasse habe einen Nebenraum genutzt, wo ein Lehrer einen Mülleimer, Servietten und Müllbeutel bereitgestellt habe. Plötzlich seien auf dem Flur Schritte zu hören gewesen, das Licht im Flur sei angegangen: „Da habe ich gedacht, jetzt ist es vorbei, gleich kommt der Täter hier rein“, so die Schülerin. Wer das gewesen sei, könne heute niemand sagen.

Polizei geleitete Schüler in die Turnhalle

Über die Sozialen Medien informierten sich die Schülerinnen und Schüler, was überhaupt berichtet wird über den Einsatz an ihrer Schule. Schnell kursierten Gerüchte über zwei mögliche Täter. „Es hieß, einer wurde festgenommen, der zweite sei auf der Flucht“, so die Schülerin. Drei Stunden saßen sie in der Klasse fest, wurden dann erst nach und nach durch die Polizei rausgeholt. „Dieses Gefühl, über den Schulhof zu gehen, eng neben uns viele Polizisten, die uns in die Turnhalle gebracht haben, das war unangenehm.“

Erst heute, knapp 24 Stunden später, realisiert die Schülerin, mit der wir sprechen, was hätte passieren können. Sie hätten die Lehrerin mit Fragen gelöchert, aber auch diese habe keine Antworten gehabt, sagt sie, und fügt hinzu: „Sie war super, hat uns beruhigt, immer wieder gefragt, ob alles ok ist.“ Am Freitag fand an der Schule kein Unterricht hat. Die Schülerinnen und Schüler konnten mit Notfallseelsorgern sprechen, doch das wollte sie nicht: „Ich möchte das lieber mit mir selbst ausmachen.“

Jugendliche wurden vernommen

Die beiden Jugendlichen, der 17-Jährige aus Brüggen und sein 18-jähriger Freund, seien vernommen worden, berichtete der Polizeisprecher am Freitag. „Sie waren beide sehr kooperativ.“ Eine Motivlage hinsichtlich einer Bedrohung könne die Polizei zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennen, die Ermittlungen dauerten aber noch an. Man prüfe, ob es sich möglicherweise um eine Straftat nach dem Waffengesetz oder aber um eine Ordnungswidrigkeit handele, so Goertz weiter. Einen Tatvorwurf gebe es bislang nicht, der junge Mann sei gestern nicht festgenommen, sondern nur festgehalten worden, und wieder zu Hause.