Navid Kermani über den Gaza-Krieg im Schauspielhaus „Dieser Krieg führt zu nichts“

Düsseldorf · Wenn Israel als Täter wahrgenommen wird, kann das die Existenz des Staates noch mehr bedrohen. Das fürchten Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, die zu einem Gespräch Navid Kermani zu Gast hatten.

Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Navid Kermani (von links).

Foto: Anne Orthen (orth)

Und Deutschland? Während der Krieg gegen die Hamas in Gaza weitergeht, auf allen Seiten viele Opfer fordert und die sogenannte Weltgemeinschaft besorgt und zunehmend alarmiert nach einem Ende der Gewalt sucht, nimmt Deutschland eher eine Position am Rande ein. Aber das sei normal, sagt Navid Kermani. Weil unser Verhältnis zu Juden und zum Judentum natürlich „neurotisch“ sei. Und weil es alles andere als normal wäre, wenn wir zu Israel nach der Ermordung von sechs Millionen Juden auch rund 80 Jahre nach der Schoah eine Art normales Verhältnis hätten, so der 56-Jährige. Auch darum seien deutsche Reaktionen in Konfliktsituationen immer ein klein wenig „over the top“, also oft übertrieben: in seiner Solidarität zu Israel wie auch in seiner Kritik an Israel.

Debatten über den Krieg in Gaza, der im mörderischen Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel vor inzwischen mehr als vier Monaten seinen Auslöser hatte, gibt es viele. Jeden Tag. Kontroverse und zunehmend polarisierende. Im Düsseldorfer Schauspielhaus bemüht man sich hingegen um „Positionen und Perspektiven“. Das klingt schon fast ein wenig zu dezent, zu akademisch inmitten eines auch weltpolitischen Getöses. Dass der Bedarf nach solchen Gesprächen groß ist, beweist der Zuspruch: Die zweite Folge war bereits ausverkauft, bevor die erste überhaupt stattgefunden hatte.

Kommunikative Gastgeber sind jeweils Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, die in ihrer Ehe selbst unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen. Sie, die Tochter muslimisch-pakistanischer Flüchtlinge; er, ein bei Tel Aviv geborener Jude. Beide haben sich beruflich dem Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus verschrieben: Während die Politologin und Antirassismus-Trainerin die Bundesregierung etwa zu Islamfeindlichkeit berät, ist Mendel unter anderem Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Als Gast hatten sie diesmal den Schriftsteller Navid Kermani eingeladen, Sohn iranischer Flüchtlinge und gebürtiger Siegener, dessen Werk auch mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wurde.

Die Herkünfte der drei, ihre Arbeit und ihre religiösen Quellen machten das Gespräch aber nicht zum erregten Talk-Show-Gezeter, sondern eröffneten die Chance, etwas freier über die weltbedrohliche Konfliktlage zu sprechen und Meinungen zu äußern, ohne gleich in eine Ecke gestellt zu werden. Der Erregungsfaktor dieses Formats hält sich dadurch in Grenzen, der Erkenntnisgewinn ist darum umso ergiebiger.

So läuft nach Meinung Kermanis – so zynisch es klingt – derzeit alles nach Plan der Hamas. Weil sich die Opfer-Identifikation mit zunehmender Dauer des Konflikts verändere und Israel immer öfter als Täter gesehen werde. Zudem gefährde die schwindende Solidarität mit einem Israel, das mit Dauer des Krieges sein humanitäres Antlitz gefährde, die Existenz dieses Staates. Der war seit seiner Gründung 1948 immer bedroht und hat sich darum immer auch mit Stärke und Härte zu behaupten versucht. „Eine militärische Absicherung des Staates Israel kann aber immer nur eine Absicherung auf Zeit sein“, so Mendel. Eine langfristige Lösung könne darum nur ein Frieden mit den Palästinensern sein.

„Dieser Krieg kann niemals die Hamas bezwingen“, so Mendel. Und er führe auch nicht dazu, alle Geiseln zu befreien – was zu Beginn ein erklärtes Ziel der militärischen Aktion gewesen sei. Ebenso Navid Kermani: „Dieser Krieg führt zu nichts.“ Er werde vom rechten israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und rechtsextremen Mitgliedern seiner Regierung weitergeführt, um seine Macht zu erhalten und von der innenpolitischen Krise abzulenken. Dass Deutschland sich als eine Art treuester Verbündeter an die Seite Netanjahus stellt – trotz der Kritik selbst der israelischen Zivilbevölkerung –, sei unangemessen. Vor dem Hintergrund seines eigenen Machterhalts wären echte Friedensperspektiven für Netanjahu derzeit eher schlecht. So gesehen haben „die Extremisten auf beiden Seiten dieselben Interessen“, so Kermani.

Was für eine Welt wäre es stattdessen, wenn Araber und Juden sich daran erinnerten, dass sie in der Philosophie und der Literatur gemeinsame Wurzeln haben? Solche Worte Kermanis können in der aktuell so lauten Debatte kaum mehr als Anmerkungen sein.

Vielleicht sind die Erfolge darum immer nur kleine. Im Gespräch erinnerte sich Mendel an seine Zeit als Soldat in Hebron. Ein schlimmer Ort mit 300 extremistischen israelischen Siedlern, die glauben, dass ihnen alles von Gott versprochen wurde. „Das sind die schlimmsten, gewalttätigsten Menschen, denen ich je begegnet bin.“ Ihm taten vor allem die Kinder und Jugendlichen leid, die nichts dafür konnten, dass sie dort aufwachsen. Aber drei Jahre später habe ihn einer davon angerufen, der mit 18 seine Familie verlassen habe und nach Tel Aviv gezogen sei, um dort ein neues Leben zu beginnen. „Ich fragte ihn, was passiert sei. Er sagte mir, wegen der Gespräche, die wir miteinander geführt haben. Und das hat mir viel Mut gegeben. Manchmal braucht es eben Zeit.“

Auch die Gesprächsreihe ist solch ein bescheidenes Mittel zu zeigen, dass es anders gehen, dass man anders denken und miteinander sprechen kann. Der Diskurs geht weiter.