Diskussion über den Nahen Osten im Düsseldorfer Schauspielhaus „Diese Aggressivität macht mich fassungslos“
Berlin / Düsseldorf · Der Antisemitismus scheint hierzulande zu eskalieren. Es schrillen die Alarmglocken, sagt der Autor Meron Mendel. Mit seiner Frau Saba-Nur Cheeman und Friedenspreisträger Navid Kermani wird er darüber im Schauspielhaus diskutieren.
Es war zwei Wochen nach dem 7. Oktober. Wenige Tage also nach dem brutalen Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel, als Meron Mendel mit dem Fahrrad seinen zweijährigen Sohn aus der Kita auf dem Frankfurter Uni-Campus abholte. Da stellten sich ihm drei Studenten in den Weg und brüllten: „Free Palestine“.
Meron Mendel, 1976 im israelischen Ramat Gan geboren, ist kein ängstlicher Mensch. Doch die antisemitischen Reaktionen auch an den Unis hierzulande sind eskaliert und haben nach seinen Worten seit dem Hamas-Überfall eine neue Stufe erreicht. „Das macht mir große Sorgen“, sagt er im Gespräch mit der Redaktion. An diesem Freitag wird er gemeinsam mit seiner Frau Saba-Nur Cheema im Düsseldorfer Schauspielhaus über den Nahen Osten sprechen. Gast wird diesmal der Autor und Friedenspreisträger Navid Kermani sein.
„Nach der Gewalttat an einem jüdischen Studenten, der Demo bei einer Hannah-Arendt-Lesung in Berlin und dem Hass anschließend in den sozialen Medien weiß ich nicht, wie es noch eskalieren kann. In vielen Bereichen schrillen bereits die Alarmglocken. Diese Aggressivität macht mich ziemlich fassungslos“, sagt der 48-Jährige.
Doch schweigen oder sich zurückziehen, würde er deshalb nicht – im Gegenteil. Vor der Veranstaltung im Düsseldorfer Schauspielhaus wird er mit seiner Ehefrau eine muslimische Gemeinde in Herne besuchen und dort über die Situation im Nahen Osten diskutieren.
Ansätze dieser Atmosphäre haben Mendel und seine Frau in Berlin auch schon erleben müssen. Das war eine Woche vor dem Angriff auf den jüdischen Studenten, als das Ehepaar gemeinsam einen Vortrag an der FU in Berlin hielt. Da hätten sie schnell gemerkt, „wie angespannt die ganze Situation bereits gewesen ist“. Glücklicherweise sei bei ihnen aber nichts passiert. Doch schon beim ersten Blick in den überfüllten Vorlesungssaal habe er sehen können, „wo die Pro-Palästina-Faktion und wo die Pro-Israel sitzen“.
All diese Gespräche und Vorträge führen er und seine Frau aus Prinzip und aus der Einsicht heraus, dass unserer Gesellschaft die Fähigkeit zu guten Auseinandersetzungen mehr und mehr abhanden kommt. Wer heute eine Überzeugung habe, verhalte sich Mendels Wahrnehmung nach inzwischen oft wie in Talkshows und brülle den Andersdenkenden einfach nieder. Viele vermieden das Gespräch und verdrängten jede Auseinandersetzung. „Man lässt sich heutzutage gar nicht mehr auf die Option ein, dass man mit seiner Meinung möglicherweise falschliegt“, so Mendel. „Es geht um die Zementierung der eigenen Meinung.“ Nicht allein zu Israel, sondern auch zur Ukraine und sogar noch früher in Pandemiezeiten. Mit dem folgenreichen Ergebnis: „Wir verlieren zunehmend die Fähigkeit, einen Diskurs zu führen. Damit ruinieren wir den Kern unseres liberalen Miteinanders.“
Und das geschehe eben auch an den Universitäten, den Stätten geistiger Aufklärung. „Es gibt auch einen linken Antisemitismus, eine Art progressive, postkoloniale Linke, die in Israel einen kolonialen Vorposten des Westens sieht“, sagt Mendel. Hinzu käme ein Antisemitismus aus dem migrantischen, muslimischen Milieu.
„Und was wir gerade auf dem Campus in Berlin sehen, ist eine Art Biotop, in dem die beiden Gruppen gemeinsam agieren. Konservative, muslimische Kräfte gehen Hand in Hand mit linken progressiven Leuten. In allen anderen Fragen würden sie sich meilenweit voneinander unterscheiden“, so Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank und Professor im Fachbereich Transnationale Soziale Arbeit an der Frankfurter Universität ist.
Reden und immer wieder reden, hören und immer wieder zuhören – das ist für Mendel und seine muslimische Frau Saba-Nur Cheema der einzige gangbare Weg zu einem echten und nachhaltigen Frieden. Auf diesem Weg liegen auch „Positionen und Perspektiven“, die im Düsseldorfer Schauspielhaus ausgetauscht werden: Die Gesprächsreihe im Kleinen Haus sei ihr „bescheidenes Mittel zu zeigen, dass es auch anders gehen kann. Es geht doch nicht darum, den anderen im Diskurs zu besiegen, sondern dazuzulernen“.