Marktplatz so voll wie selten Tausende demonstrieren in Grevenbroich gegen Rechtsextremismus
Update | Grevenbroich · Am Sonntagnachmittag sind auf dem Grevenbroicher Marktplatz Tausende Menschen zusammengekommen. Sie demonstrierten für Freiheit und Vielfalt – und gegen die Feinde der Verfassung.
So voll war der Grevenbroicher Marktplatz selten – allerhöchstens mal zur Serenade beim Schützenfest: Trotz des Nieselregens haben am Sonntagnachmittag mehrere Tausend Menschen vor dem Alten Rathaus für Demokratie, Respekt, Vielfalt und Freiheit demonstriert. Damit setzten sie auch ein starkes Zeichen gegen Rechtsextremismus. Die angemeldete Zahl von gerade mal 250 Teilnehmern war weit untertrieben, tatsächlich kamen sechsmal so viele Menschen – mindestens. Nach Schätzungen der Polizei waren es 1500 Teilnehmer, andere Stimmen sprachen von 4000 nur zwischen Altem Rathaus und der Kirche St. Peter und Paul.
In jedem Fall aber wurde es ab 14 Uhr voll auf dem Marktplatz: Die Menschen rückten dicht zusammen, hissten Fahnen, zeigten selbst gebastelte Schilder mit Aufschriften wie „Nie wieder ist jetzt“, „Alle gehören zu uns“ oder „Keine Rechte den Rechten“. Viele zeigten sich kreativ, darunter ein Mann mit einer braunen Kopfbedeckung, auf der das Logo der AfD steckte – und der Spruch „Braun ist Scheiße“. Mit dabei waren Grevenbroicher aller Altersklassen. Viele Teilnehmer waren zum ersten Mal auf einer Demo, und einige kamen auch aus umliegenden Städten wie Jüchen.
„Unsere Erwartungen sind deutlich übertroffen worden. Es freut uns, dass so viele Menschen in die Innenstadt gekommen sind, um klar zu zeigen: Wir wollen kein zweites 1933“, sagte Peter Gehrmann, Fraktionschef der Grünen, stellvertretend für alle Organisatoren. Zu der Demo hatten alle demokratischen Parteien in Grevenbroich aufgerufen, dazu Sozialverbände, Vereine und viele weitere Gruppierungen.
Alle zogen an einem Strang, inspiriert sicher auch von vorausgegangenen Demos in anderen Städten. Die Kundgebungen lassen sich auch als Antwort auf das Bekanntwerden eines Geheimtreffens werten, bei dem Rechtsradikale offenbar Pläne für eine massenhafte Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund schmiedeten.
Bei der Demo in Grevenbroich standen außer Livemusik von fünf Bands die Reden von Bürgermeister Klaus Krützen (SPD) und Landrat Hans-Jürgen Petrauschke (CDU) auf dem Programm. Beim Blick in die Menge auf dem Marktplatz sagte Krützen, dass er stolz ist, Bürgermeister von Grevenbroich zu sein. „Wir stehen heute nicht nur hier gegen Rechtsextremismus, sondern auch als Hüter unserer Verfassung und der Werte, für die sie steht“, sagte Krützen: „Unsere Stadt, unser Zuhause, ist ein Ort der Vielfalt und des Miteinanders. Antisemitismus und Rechtsextremismus haben in unserer Mitte keinen Platz.“
Viele Menschen zeigten sich besorgt darüber, dass extremistische Ansichten mehr und mehr salonfähig werden. Krützen nannte die Diskussion um „Remigration“ als ein Beispiel. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Spaltung und Ausgrenzung die Oberhand gewinnen – auch wenn die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht weniger werden. Unsere freie Gesellschaft ist vielfältig und bunt.“ Sie basiere auf Toleranz, Respekt und Solidarität, so der Bürgermeister weiter: „Diese Werte sind es, die uns stark machen, und die wir verteidigen müssen. Wir stehen für ein Miteinander, in dem jede Person unabhängig von Herkunft, Glauben oder Überzeugung einen Platz hat.“
Bürgermeister nimmt Bezug
auf Rede von Alice Weidel
Klaus Krützen erinnerte in dem Zusammenhang an die Schrecken des Holocausts – und daran, dass die Demokratie, für die Milliarden Menschen weltweit Deutschland beneiden, nicht gottgegeben ist. „Wir müssen aktiv klare Kante gegen Rechts zeigen, auch im privaten Umfeld.“ Eine Stimme für die angebliche Alternative lasse sich nicht mehr als harmloser Protest schönreden, mahnte Krützen: Das habe die Rede der AfD-Politikerin Alice Weidel in der zurückliegenden Woche gezeigt, „als sie der Bundesregierung vorwarf, sie würde unser Land hassen“. Der Hass werde aber nicht von der Bundesregierung geschürt, sondern von den „Höckes und Weidels, die unser Land und unsere Art zu leben in Wahrheit hassen“, sagte Krützen. Es sei ein Hass auf Deutschland, wie es heute ist: demokratisch, solidarisch und vielfältig.
Der Rathaus-Chef betonte: „Wer in Freiheit und Rechtsstaatlichkeit leben will, muss jeden Tag für die Demokratie einstehen. Auch wenn es manchmal Überwindung kostet, wenn Familie, Freunde oder Nachbarn plötzlich völkische, rechtsradikale Gedanken äußern.“ Genau dann sei es wichtig, den Mund aufzumachen: „Unsere Verfassung lebt von der Haltung der Bürgerinnen und Bürger.“
Während er für seine Rede Applaus erntete, griff Klaus Krützen auf der Bühne stehend ein von Kindern gestaltetes Plakat mit der Aufschrift „Unsere Hautfarbe ist nicht frei wählbar! Die Farbe der Politik schon!“ Er hielt es nach oben und zeigte es der Menge – ein starkes Bild.
Ganz ähnlich wie der Bürgermeister äußerte sich Landrat Hans-Jürgen Petrauschke. Er freute sich über die Vielzahl der Teilnehmer bei der Demo, machte aber auch klar, dass der Tag der Demo eben nur ein einzelner Tag ist. Wichtig sei es, auch diejenigen zu erreichen, die der Demo ferngeblieben sind. Petrauschke erinnerte an die Machtergreifung Hitlers vor 91 Jahren. Damals sei Hass gesät worden, der Millionen Menschen das Leben gekostet hat. „Man könnte heulen, man müsste heulen, wenn man sieht, dass sich so etwas heute wiederholen könnte“, sagte der Landrat und machte auf den ersten Artikel des Grundgesetzes aufmerksam, den die Väter der Bundesrepublik nicht umsonst an erster Stelle der Verfassung platziert haben. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, heißt es dort. Kein Mensch sei wie der andere. Petrauschke betonte: „Demokratie hat keine Alternative.“
Von einem „super Zeichen für die Demokratie“ sprach in der Menschenmenge auf dem Marktplatz auch die Grevenbroicher CDU-Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Heike Troles. Die Vielzahl der Teilnehmer stimmt sie hoffnungsvoll, sagte sie. Und CDU-Fraktionschef Wolfgang Kaiser erklärte: „Ich bin nicht überrascht, dass so viele Menschen gekommen sind. Bei Sonnenschein wären es sicher dreimal so viele gewesen.“ Demokratie sei es, wenn Menschen ungehindert auf die Straße gehen können, um ihre Meinung kundzutun – „das ist genau das richtige Zeichen“.
SPD-Fraktionschef und Bundestagspolitiker Daniel Rinkert sprach von „Gänsehaut-Momenten“ allein durch die Vielfalt auf dem Marktplatz. „Ich bin sehr positiv überrascht“, sagte er. Zu sehen waren viele in der Stadt bekannte Menschen, die beispielsweise ein Ehrenamt ausüben. Aber eben nicht nur: Bei der Demo in Grevenbroich, die manch einer als „Aufstand der Vernünftigen“ beschrieb, wurde am Sonntag wie in so vielen Städten eine Mehrheit sichtbar, die sonst eher leise ist. Eine Mehrheit für Demokratie und Freiheit.