Gratis nach Sibirien: 400 Seiten Leben, Liebe, Leiden

Hilde Nowak hat ihre Deportation nach Sibirien beschrieben. Durch Hilfe von Freunden entstand daraus ein Buch.

Osterath. Hildegard Sobotta war gerade 18 Jahre alt, es war kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges im Frühjahr 1945 in Beuthen, heute Polen, als sie von Russen auf offener Straße verhaftet wird. Sie wird verhört und ohne Angabe von Gründen eingesperrt. Vier Wochen später wird die junge Frau mit vielen weiteren Opfern in Viehwaggons nach Sibirien transportiert. Wie sie viel später erfuhr, hatte eine Freundin sie denunziert, die ihr die gute Stelle als Krankenschwester beim Roten Kreuz neidete.

Viele Tage dauert die Fahrt ins Ungewisse. Die Bedingungen des Transports sind grausam und unmenschlich. Ohne Decken sieht Hilde unzählige Menschen erfrieren oder an Ruhr, Typhus und vor Erschöpfung sterben. Im Lager angekommen, wird sie mit den übrigen Gefangenen in riesigen Sälen untergebracht, zusammengepfercht schlafen sie auf Holzbrettern.

Diejenigen die sich wie sie noch auf den Beinen halten können, müssen Schwerstarbeit leisten. Mehrere Male erkrankt sie schwer und entrinnt nur knapp dem Tod. Viele ihrer Freundinnen sterben.

Nach vier Jahren im sibirischen Arbeitslager wird Hilde schwanger. Der Vater, der deutsche Kriegsgefangene Fritz Noebels, erfährt davon zunächst nichts. Unter schlechtesten Bedingungen und großer Demütigung wird ihr Kind, ein Mädchen, 1949 in einem primitiven Krankenwagen geboren. Sie gibt ihm den Namen Renate. 1950, fünf Jahre nach der Gefangennahme, darf die junge Mutter das Lager verlassen.

Aus ihrer bewegenden Lebensgeschichte entsteht ein Buch. Viele Jahre hat Hildegard Nowak gebraucht, ihre teils schrecklichen und schmerzhaften Erinnerungen aufzuschreiben. "Sie konnte das einfach nicht alles auf einmal erzählen", sagt Renate Ulrich. Die Tochter hat erlebt, wie ihre Mutter mit viel Willenskraft stets weiter an dem Buch arbeitet. Fertiggestellt wurde es 1983, zirka 400 maschinengeschriebene Seiten.

2002, in der Trauerzeit nach dem Tod der Mutter, lernt Renate Ulrich Sieglinde Schönfeld kennen. "Es war damals eine sehr schwere Zeit für mich und Frau Schönfeld hat mit zur Seite gestanden", berichtet Ulrich. "Obwohl sie meine Mutter nicht kannte, hat sie mir Kraft gegeben."

Um ihr einen Einblick in das Leben ihrer Mutter zu geben, gibt Renate Ulrich Sieglinde Schönfeld das Manuskript. Die ist so berührt von den Erinnerungen, dass sie sie ihrem Mann Wolfram zeigt. "Das muss veröffentlicht werden", ist dessen erster Gedanke.

Hildegard Sobotta wird 1927 in Beuthen in Oberschlesien geboren. Nach der Schulausbildung arbeitet sie als Krankenschwester beim Deutschen Roten Kreuz.

Im Alter von 18 Jahren wird sie von einer Freundin bei den Russen denunziert und in ein sibirisches Arbeitslager transportiert. Dort lernt sie ihren ersten Mann, Fritz Noebels, kennen. Renate, ihr erstes Kind, kommt in Gefangenschaft zur Welt.

Fünf Jahre verbringt sie bis zu der Freilassung in Sibirien.

1950 heiraten Hilde und Fritz in St. Tönis. Sie bekommen zwei weitere Kinder, Marika und Wolfgang. Fünf Jahre später stirbt der Ehemann an Herzschwäche.

Die alleinerziehende kann wegen der Kinder nicht als Krankenschwester arbeiten und verdient etwas Geld durch das Schreiben von "Groschenromanen" und Kurzgeschichten.

Einige Jahre später lernt sie ihren zweiten Mann, Franz Nowak, kennen, mit dem sie zwei Kinder, Angelika und Peter, hat.

1988 stirbt Franz Nowak.

Hilde Nowak zieht einige Jahre später zu ihrer Tochter Renate Ulrich nach Osterath.

Am 19. August 2002 stirbt Hilde Nowak im Alter von 76 Jahren.