Denkmal für die „gefallenen Engel“
Regisseurin Linda Riebau widmet sich den Geschichten sechs großer Sängerinnen.
Neuss. Wie macht man aus Lebensgeschichten von sechs Sängerinnen und ihren größten Songs einen Theaterabend, der allen und allem gerecht wird? Linda Riebau versucht das gar nicht erst. Sondern montiert Momente. Die RLT-Schauspielerin debütiert im Studio mit ihrem ersten eigenen Stück, führt auch Regie. In Marilyn Monroe, Judy Garland, Whitney Houston, Amy Winehouse und Billie Holiday sieht sie „Gefallene Engel“, die trotz (oder gerade wegen) ihrer Beliebt- und Berühmtheit im Leben gescheitert sind. Keine starb eines natürlichen Todes, jede viel zu früh — was auch dieser Abend auf eine ebenso berührende wie überzeugende Weise deutlich macht.
Riebau nähert sich den Kolleginnen mit einer gelungenen Mischung aus Sympathie, Respekt und Ironie. Die ersten der rund 90 Minuten dauernden „musikalischen Spurensuche“ (so der Untertitel) kommen noch ein wenig holprig daher, sehr programmatisch mit dem Song „I wanna be loved by you“ aus „Manche mögen’s heiß“, und dann stehen die drei Spieler Alina Wolff, Rainer Scharenberg und Richard Lingscheidt als Darlene, Dorothy und Daphne an der Rampe und sprechen die Zuschauer an: Ob sie nicht fragten, wie es wäre, wenn sie selbst auf eine Bühne müssten? Ob Bühnenkünstler nichts anderes antreibe als die Sehnsucht nach Liebe?
Rhetorisch, versteht sich. Aber schon sind die drei mittendrin im Leben von Marilyn Monroe. Oder ist es Billie Holiday? Geschickt montiert Linda Riebau die beiden Figuren übereinander, kombiniert die berühmte Monroe-Szene auf dem U-Bahnschacht aus „Das verflixte 7. Jahr“ mit Holidays großem Song „All of me“. Und Alina Wolff bringt beides perfekt unter einen Hut, singt sich aus der Resignation in Trotz, Wut und schließlich Verzweiflung. Sie geben so viel, jeder nimmt sich ihr Bestes, warum also nicht gleich alles nehmen? Der Song wird zum Leitfaden des Abends und ganz zum Schluss von Rainer Scharenberg mit einem grandiosen Auftritt in deutscher Sprache regelrecht rausgeschleudert.
Überhaupt passt die Auswahl der Songs perfekt zum Text. Der hat eher nachrichtlichen Charakter — was so manches noch erschreckender macht. Kommentar ist oft genug ein Song: „Smile“ zum Beispiel (von Judy Garland), nachdem von den zwölf Abtreibungen Marilyn Monroes die Rede ist. Geradezu kongenial hat Sebastian Zarzutzki, der auf der von Maik Claßen garderobenähnlich gebauten Bühne zusammen mit Christina Schumann (Backings) für die Live-Begleitung sorgt, die insgesamt zwölf Songs für die Stimmen von Wolff, Scharenberg und Richard Lingscheidt arrangiert. Und die beiden Männer sind dabei mindestens so überzeugend in den Rollen der Frauen wie Alina Wolff. Vor allem Lingscheidt zieht sich eine Whitney Houston oder Amy Winehouse wie eine zweite Haut über, singt ihre Songs, als ob er nie etwas anderes getan hätte.
Und doch ist dieses Eine-andere-sein mit wenigen Mitteln (Kostüme: Alide Büld) nie ganz wirklich, es bleibt immer sichtbar, dass die Drei sich Figuren aneignen wie Kinder in einem Rollenspiel. Einer tritt gern auch daneben, was natürlich wieder gespielt ist, aber der Inszenierung einen wunderbaren Humor gibt und die Tragik dieser gescheiterten Lebensentwürfe mildert.