Die Geheimnisse von Grevenbroich
Gibt es einen unterirdischen Fluchtgang am Schloss? Und was hat es mit den Grabkammern an der alten Wilhelmiten-Kapelle auf sich?
Grevenbroich. Seit fast einem Jahr laufen die archäologischen Arbeiten auf der Schlossbad-Baustelle. Neben Scherben und einer Pfeilspitze sind mittlerweile mehr als 900 Holzfunde gemacht worden. Unter anderem wurde eine aus zugespitzten Eichenpfählen konstruierte Spundwand entdeckt, die auf einen künstlich angelegten Wassergraben hinweist. Vermutlich wurde er zwischen 1410 und 1420 angelegt. Irgendwann ist dieses Bauwerk zerstört worden, offenbar durch eine große Flut, die mit voller Wucht eine Vielzahl der Pfähle umknickte. Grabungsleiter Horst Husmann und sein Team versuchen nun das Rätsel dieser Überschwemmung zu lösen — was nicht einfach ist. Denn historische Überlieferungen, die darauf hinweisen, dass die Erft gewaltig über ihre Ufer trat, sind nicht vorhanden. Die große Flut bleibt vorerst ein Geheimnis.
Das gilt auch für ein Bauwerk, das sich in Steinwurfweite von der Grabungsstelle befunden haben soll. Bis in die Gegenwart halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass es einen Geheimgang gibt, der zwischen dem Alten Schloss und dem Ende der Kölner Straße verläuft. Gefunden wurde er bis heute jedoch nicht.
Es gibt aber einen Hinweis auf einen solchen unterirdischen Fluchtgang. „Als im November 1955 der alte Treppenturm am Schloss abgerissen wurde, gab plötzlich der Boden nach — und vor den erstaunten Stadtarbeitern tat sich ein tiefes Loch auf“, schildert Friedrich Schmitz, Vorsitzender des Grevenbroicher Geschichtsvereins. Da dieser unterirdische Raum mit der Unterkellerung der Schlossgebäude nichts zu tun hatte, wurde damals vermutet, dass es sich um einen Teil eines geheimen Fluchtganges handelte. „Das sorgte in den Fünfzigern für Aufsehen“, sagt Schmitz.
Gibt es wirklich einen Geheimgang unter der Innenstadt? Die Grevenbroicher gingen dieser Frage seinerzeit nicht nach. Weil es an den notwendigen Gerätschaften fehlte, stieg niemand in das Loch hinein, um es zu untersuchen — die Grube wurde wieder zugeschüttet. Immerhin wusste der damalige Feuerwehr-Hauptbrandmeister Rudi Hartmann bei dieser Gelegenheit der örtlichen Presse von seinem Großvater Georg zu berichten. Der habe häufig von einem unterirdischen Gang gesprochen, in dem einst Kinder spielten. In den 1890er Jahren sei er aus Sicherheitsgründen aber zugemauert worden.
„Nach der Überlieferung soll der Gang bis zu dem heutigen Fahrradgeschäft Kraus führen, wo früher das Feldtor stand“, sagt Schmitz. Dass es allerdings einen solch langen Fluchtweg gegeben haben soll, glaubt der Kenner der Stadtgeschichte nicht. Schließlich liegen zwischen dem Alten Schloss und dem Ende der Kölner Straße nicht weniger als 470 Meter — und natürlich die Erft. „Das wäre eine Meisterleistung gewesen — und man muss sich auch die Frage stellen, wo der ganze Aushub hingeschafft wurde“, sagt der Wevelinghovener.
Ein ernstzunehmender Zeitgenosse habe ihm jedoch mit ernster Miene versichert, dass er den unterirdischen Gang auf eigene Faust erkundet hätten. „In der Nähe des Schlosses will er sogar die Erft über sich rauschen gehört haben“, berichtet er. Friedrich Schmitz hält das für eine schöne Geschichte, der er allerdings kaum Glauben schenken mag: „Ich persönlich kann mir das nicht vorstellen, dass es einen solch unterirdischen Fluchtweg gibt.“
Ein Geheimnis umweht auch die Kirche St. Peter und Paul, die sich in etwa der Mitte zwischen dem Alten Schloss und dem ehemaligen Feldtor befindet. Beim Bau eines Luftschachtes für eine Ölheizung, der in die alte Wilhelmiten-Kapelle gelegt wurde, stießen Arbeiter im Januar 1958 unerwartet auf mittelalterliche Grabkammern. Das rief seinerzeit sogar ein internationales Echo hervor. „Die rätselhaften Skelettfunde ließen Presse und Rundfunk aufhorchen. Selbst ausländische Gelehrte bekundeten ihr Interesse. Die Universität von Paris meldete sich“, notierte der damalige Dechant Ernst Meininghaus. Es wurde vermutet, dass an der Erft möglicherweise die Gräber der Herzöge von Aquitanien entdeckt worden waren.
„Aquitanien war Hauptkulturträger Südfrankreichs und Ausgangspunkt der Troubadour-Dichtung. Durch Eleonore von Aquitanien (11./12. Jahrhundert) und ihre Heirat mit Heinrich II. von England wurde die Grundlage für die englisch-französische Kulturgemeinschaft des Mittelalters gelegt“, schrieb Meininghaus in seiner Chronik. Wilhelm von Aquitanien wird in der Geschichte als Gründer des Wilhelmitenordens genannt, der nördlich der Alpen sein (1297 gegründetes) Hauptkloster in Grevenbroich hatte. Überlieferungen wollen wissen, dass die Herzöge von Aquitanien in einer Wilhelmitenkirche ihre letzte Ruhe fanden — etwa in der an der Erft?
„Hatte man jetzt in den Grabkammern unserer alten Kapelle — die Wände sind 0,90 bis 1,10 Meter dick — die Lösung für mancherlei historische Fragen? Oder war es lediglich eine ,Großtuerei‘ der Romantik?“, fragte auch Dechant Meininghaus und schrieb: „Den kleinen Spalt in die Grabgewölbe haben wir wieder zugemauert. Wenn die staatlichen Stellen für kirchliche Archäologie uns finanziell unterstützen, werden wir vom ehemaligen Wilhelmitenkloster aus einen unterirdischen Zugang schaffen und die Katakomben unseren Gläubigen zugänglich machen.“
Die Hoffnung des Dechanten wurde nicht erfüllt. „Das Interesse an der Entdeckung beim Bau der Öheizung ebbte rasch wieder ab. Wissenschaftlich untersucht wurde das Ganze leider nicht“, sagt Schmitz. So haben der Gang und die Gräber eines gemeinsam — sie bleiben wie auch die Flut ein spannendes, bis auf weiteres ungelöstes Geheimnis der Stadtgeschichte.