Die tiefen Abgründe des Neusser Bücherschranks
Von magischen Liebesdüften über Pflegetipps für Feldgehölze bis zu einer längst vergessenen Fernsehserie aus den 90ern: Ein Blick hinter die Tür des Bücherschranks an der Oberstraße offenbart so manche Lektüre zum Wegrennen. Ein „Rest of“ von Simon Janßen.
Valerie Ann Worwood: Liebesdüfte. Die Sinnlichkeit ätherischer Öle
Wer kennt das nicht? Da liegt man entspannt in seiner Badewanne, inhaliert den Duft von Lavendel und Moschus zu den sanften Klängen von Celine Dion auf der Kuschelrock-CD Volume III und plötzlich merkt man, dass etwas fehlt — ein Buch über die Sinnlichkeit ätherischer Öle. In dem Werk „Liebesdüfte“ von Valerie Ann Worwood — die Frau mit dem Riecher für literarische Leckerbissen — erfährt der Leser in kess-erotischem Zungenschlag, wie er mit den Nasenflügeln hinauf auf Wolke sieben schweben kann. Wer das liest, der begegnet „verführerischen Mächten“, die angeblich das sexuelle Verlangen steigern. Noch ist es kostenlos im Bücherschrank mitzunehmen, es liegt nur etwas versteckt — also einfach der Nase nach.
Die Adventszeit ist die Zeit des Helfens. Die Zeit des Miteinanders. Die Zeit der Selbstlosigkeit. Gerade in diesen herzerwärmenden Wochen stellt sich die Frage, wann man zuletzt etwas für Hecken und Feldgehölze getan hat. Schließlich haben die auch Gefühle. Der Autor Michael Lohmann hat mit seinem Meisterstück „Wir tun was für Hecken und Feldgehölze“ etwas ganz Besonderes ausgeheckt. Im Internet ist die Fach-Lektüre als Bestseller deklariert. Ein Bestseller für 34 Cent. Durch die Versandkosten verzehnfachen sich jedoch die Kosten. Man kann nur erahnen, welche Hintergedanken die Person hatte, die es einst ins Bücherregal legte: Vielleicht ein Hinweis an die Verwaltung, sich mehr um die Grünflächen zu kümmern?
Wenn schon der Titel eines Buches darauf hinweist, dass selbiges in Farbe gedruckt wurde, dann weiß man — hier wartet eine Zeitreise. Wenn dieses Buch dann auch noch das Wort „neu“ im Namen trägt, wie es beim „Neuen großen Lexikon in Farbe“ der Fall ist, dann könnte sich der Leser aus heutiger Sicht womöglich sogar veräppelt vorkommen. Auf dem Cover sind unter anderem Fotos von der Mondlandung, eines prähistorischen Fußballspiels und einer womöglich längst ausgestorbenen Papageienart zu sehen. Der ehemalige Besitzer hatte es wohl einfach zu oft gelesen und sich deshalb von dem Lexikon getrennt. Positiv: Unter den 35 000 Stichwörtern fehlen Trendwörter wie „Babo“ oder „Fly sein“ garantiert.
Elegant gekleidete Menschen wandeln durch den Park, huschen zum Rendezvous und verlieren sich in magischen Sommernächten. Was ein bisschen so klingt wie das Neusser Schützenfest, ist der grobe Inhalt des Buches „Ein Sommer in Augustenbad“. Auch in diesem Werk geht es wieder heiß zur Sache — scheinbar dient der Neusser Bücherschrank auch dazu, eingeschlafene Fantasien wiederzubeleben. Die Story ist atemberaubend: Der kecke Andreas ist gegen seinen Willen nach Augustenbad gereist, seine wohlhabende Ehefrau hat ihn zu dem Aufenthalt verdonnert, weil er mit der Trinkerei aufhören soll. Schon wenig später trifft er auf die geheimnisvolle Amanda und die junge Maria. Alles weitere ist nicht druckbar.
Nein, das sind keine Schauspieler, die in den 80er-Jahren durch das Casting für „Manta, Manta“ gerasselt sind. Das sind Christoph, Katharina, Kai und Beatrice. Sie arbeiten als Animateure im Ferienclub Marengo. Alle sind sonnenbankgebräunt und haben Affären mit wechselnden Partnern. Die ersten drei Folgen der Serie „Stars des Südens“ hatten Spielfilmlänge und liefen Anfang der 90er-Jahre zur Primetime. Verständlich. Denn was will man mehr, als Details über Menschen zu erfahren, die aussehen, als würden sie sich um 6 Uhr mit Handtüchern Pool-Liegen reservieren. Der Vorteil der Lektüre: Sollte man zu einem „Stars des Südens“-Filmabend eingeladen werden, kann man prahlen: „Danke, ich habe das Buch gelesen.“