Inklusions-Modell auf der Kippe

LVR und Kassen ringen um Bezahlung von Therapeuten.

Neuss. Li-mo-na-de ist kein einfaches Wort. Aber Lea (Name geändert) bereitet es keine Mühe mehr. Das sechsjährige Mädchen formt jede Silbe im Mund, lässt sie ins Freie und klatscht dazu in die Hände. „Wie viele Silben waren das?“ fragt Therapeutin Angela Fischer. „Fünf“, sagt Lea und korrigiert sich: „Nein vier.“ Draußen ist Sommer, in der Kita „Sternschnuppe“ spielen die Kinder in der Sonne. Lea arbeitet unterdessen in einer Sitzung mit ihrer Therapeutin spielerisch an ihrer Sprache. Ihre Mutter ist begeistert: „Sie spricht sehr viel deutlicher, artikuliert sich besser, traut sich viel mehr zu als früher“, sagt sie. „Im Sommer kann sie jetzt in die Schule gehen.“

Möglich gemacht hat dies auch die Arbeit der Therapeutin Angela Fischer gemacht. Sie ist immer dabei in dem Kindergarten, in dem Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam spielen und lernen. Lea und die anderen 14 Mädchen und Jungen mit Förderbedarf profitieren davon sehr. Wie lange das aber noch so bleibt, ist ungewiss. Und das erzürnt Träger, Eltern und Erzieher gleichermaßen. Sie fürchten, dass die Inklusion dabei verloren geht.

Hintergrund ist eine Änderung in der Finanzierung der Therapie in den Kitas. Bisher hat der Landschaftsverband Rheinland (LVR) den Trägern die Beschäftigung von Sprach- und Physiotherapeuten bezahlt — auf freiwilliger Basis, weil die Krankenkassen das nicht übernehmen mussten. Seit 2011 können die Kassen aber dazu verpflichtet werden, die Kosten zu übernehmen. Deshalb stellt der LVR seine freiwillige Förderung zum Kindergartenjahr 2016/17 ein. Künftig brauchen Kinder eine ärztliche Verordnung. Therapeuten würden dann wohl nicht mehr in den Kitas beschäftigt, weil die Träger das nicht mehr bezahlen könnten. Sie kämen nur zur Therapie-Stunde. Oder die Kinder mit Behinderung müssten zur Therapie in eine Praxis. „Unsere Therapeuten betreuen die Kinder den ganzen Tag in den Kitas, bald werden sie zu Handlungsreisenden“, schimpft Lukita-Geschäftsführer Ralf Heupts. „Das ist eine Katastrophe für die Qualität der Betreuung.“ Betroffen sind in Neuss insgesamt neun Einrichtungen von Lebenshilfe, Rotes Kreuz und Lukita, mit 85 Kindern in 17 integrativen Gruppen.

Susanne Benary-Höck (Grüne), Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, ärgert sich über Bürokratie-Hürden, Eltern schreiben Wutbriefe. Und wenn „Sternschnuppe“-Leiterin Margarete Scheeres davon schwärmt, wie brillant das bisherige Konzept in ihrem Haus funktioniere, dann ahnt man: Die Veränderungen kommen bei Erziehern und Eltern einem schweren Raub gleich.

Dabei ist das noch gar nicht entschieden. Der LVR hat seine freiwillige Förderung vorerst bis August 2016 verlängert. „Der LVR und die Krankenkassen stehen in Verhandlungen“, berichtete LVR-Mitglied Gertrud Servos von der Neusser Awo. Es würden verschiedene Modelle diskutiert, wie die Förderung künftig funktionieren könne.