Kein Ort für prächtige Turniere
Die Quellen berichten für Neuss nur über ein einziges Kampf-Spektakel.
Neuss. Zweimal am Tag wird zum Turnier gerufen. Dann messen sich Ritter mit Lanze und Schwert und reiten auch noch durch die Feuerwand. Auf dem Markt sind Kleider, Seifen und Töpfe im Angebot, Met und Schwein am Spieß gibt es auch. Mittelalter auf der Rennbahn: Ab Samstag schlagen Ritter und Marktleute ihre Zelte auf. Wie früher — oder?
Die Blütezeit des Rittertums und prächtiger Turniere sind ins 11. und 12. Jahrhundert zu datieren. In Neuss spielte sich allerdings wenig ab, genauer: Man weiß es nicht. Schriftliche Quellen gibt es kaum. Regelmäßige Ritterturniere aber wird es in der Stadt, die vielleicht 2000 Einwohner hatte, nicht gegeben haben.
Neuss wurde dominiert durch das Damenstift St. Quirin — schon bevor 1209 mit dem Bau der heutigen Kirche begonnen wurde. Damen aus dem Hochadel lebten hier, auch mal die Witwe des Königs von Lotharingien. „Der Bedeutungsverlust des Stifts ging mit der wachsenden Rolle der Stadt einher“, sagt Carl Pause, Archäologe am Clemens-Sels-Museum und Mittelalterexperte.
Die Menschen lebten in einfachen Häusern, meist aus Fachwerk, aber auch aus Stein. Keller aus dem 12. Jahrhundert sind noch unter dem Hauptstraßenzug zu finden. Innerhalb der Stadtmauern standen diese Häuser flächig verteilt, mit großen Gärten, bis sie zum Ende des Mittelalters durch engere „Stadtbebauung“ ersetzt wurden.
Und die Ritter? Die Adligen besaßen neben ihren Landsitzen oft Stadthäuser, so auch in Neuss, sagt Pause. Im „Turnier-Ornat“ mit Rüstung und Wappen werden sie nicht durch die Stadt geritten sein. Und doch bekamen die Neusser edle wie unedle Ritter zu sehen. Vor allem nach der berühmten Belagerung durch den Burgunderherzog Karl den Kühnen, der 1474 ein „internationales“ Söldnerheer nach Neuss geführt hatte. Nach dem Waffenstillstand ritten die Ritter in die Stadt — angeblich um nach dem Grund für ihre Erfolglosigkeit zu suchen. Sie schoben sie dann auf die Hilfe des heiligen Quirin für die Neusser.
Nur von einem einzigen Turnier gibt es vage Nachrichten in der Kölner Königs-chronik oder den klevischen Annalen. 1241, kurz nach Pfingsten, soll es dabei 60 Opfer unter den Rittern gegeben haben. Die Kirche hatte vergeblich versucht, das gefährliche Spektakel zu verhindern.
Die Faszination des Mittelalters ist ungebrochen, der Zuspruch zu Veranstaltungen wie der auf der Rennbahn belegt es. Carl Pause verweist allerdings darauf, dass auch im Clemens-Sels-Museum Mittelalter lebendig werden kann — zum Beispiel mit Waffenfunden der Belagerer des Jahres 1474.