Neuss: Der Kampf des Prinzen Hamlet
Königsdrama: Poetenpack überzeugt im Globe mit einer unprätentiösen Shakespeare-Inszenierung.
Neuss. "My wooden O", so nannte Shakespeare zärtlich sein Globe. Und passender als an einem solchen Ort könnte ein Hamlet wohl kaum gespielt werden. Im Theater ist die Luft am Montagabend drückend schwül, aber das nimmt man in Kauf. Und da sitzen wir nun im Globe, auf der schlichten Holzbank - sind Zuschauer, Untertanen, das Volk. Es ist ein Stück, das mit dem ruhelos umgehenden Geist eines ermordeten Königs beginnt und eines der Lieblingsstücke zahlreicher Theatermacher überhaupt: Das Potsdamer Ensemble Poetenpack setzt mit dem Königsdrama, das 1602 in London uraufgeführt wurde, ein weiteres Glanzlicht im Neusser Festival.
Der Spielfassung liegt die klassische Übersetzung von August Wilhelm Schlegel zugrunde. Entsprechend solide und ohne Effekthascherei kommt das Stück daher. Bühne und Kostüme sind modern, das Gesamtbild stimmt. Regisseur Justus Carrière gestaltet mit seiner Hamlet-Crew keine melodramatische Klamotte, sondern glaubwürdige Figuren in diesem Spiel um alles oder nichts.
Claudius (Ralf Bockholdt) ist der neue Herrscher in Dänemark, ein König, dem man die Falschheit an der Nasenspitze ansieht. Zu Beginn des Abends feiern er und seine frisch angetraute Gattin mit Pomp & Circumstance. Sie mit großem Hut, er im weißen Anzug, rotem Hemd, farbiger Sonnenbrille - und sieht damit Rockstar Bono verblüffend ähnlich.
Einer aber will und kann dem schönen Schein nicht erliegen und meldet sich zu Wort: Prinz Hamlet. Er weiß zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass Claudius der Mörder seines Vaters ist, doch die schnelle Hochzeit des Onkels mit der Mutter regt ihn wahnsinnig auf.
Am Anfang wirkt Hamlet noch blass und unschuldig, doch je mehr er sich in seine Wut hineinsteigert, je mehr er ahnt und erfährt, dass etwas faul ist im Staat, desto aggressiver und atemloser wird er. Statt allzu grüblerisch und finster mimt Tilmar Kuhn den jungen Dänenprinzen kraftvoll, hitzig und kühn.
Doch der Kampf zwischen Rachegelüsten und Moral nimmt unweigerlich seinen Lauf - bis Hamlet selbst des Wahnsinns Beute wird, den er anfangs nur vortäuscht.
Schöne Idee von Bühnenbildner Stephan Mannteuffel: Die überdimensional großen Buchstaben RACHE als Teil der Kulisse geraten ins Wanken und werden zum Schluss wieder aufgestellt. Ein hübsches Detail sind auch die venezianisch angehauchten Masken von Birgit Hagen im Stück-im-Stück "Die Mausefalle", mit dem der meuchlerische Claudius überführt werden soll.
Dass die Darsteller auf den verschiedenen Ebenen im Globe viel rennen müssen, verhindert nicht, dass es auch leise und intime Momente gibt. Entstehen im ersten Teil streckenweise Spannungsverluste, gewinnt das Spiel nach der Pause an Ausdruckskraft. Auch die Komik kommt nicht zu kurz: "Ich bin umgebracht", sagt Polonius wenig irritiert nach dem versehentlichen Attentat und kippt um wie gefällt. Szenenapplaus gibt es auch für Ophelia (Paula Wehmeyer), die in den Wahnsinn taumelt und ihren Verstand verliert. Beifall, der jedoch eher unfreiwillig motiviert ist: Sie steigt in zwei mit kaltem Wasser gefüllte Gummistiefel und stöhnt laut auf: eine wohltuende Abkühlung, die sich sicher auch so mancher Zuschauer gewünscht hätte.
Ergebnis sind drei Stunden Spannung, in denen jederzeit klar bleibt, wer wann warum wie handelt. Tosender Applaus.