Freizeit Engels-Rallye: Verlierer werden zur „arbeitenden Klasse“
Wuppertal · Stadtbibliothek und „Urbanisten“ schicken Rätsel- und Geschichtslustige mit dem Handy los.
Die einen haben Geld - dafür sind die anderen viele. Grundthese verstanden: Mit diesem Ertrag könnte selbst Friedrich Engels ein neues Projekt zu seinen Ehren mögen. Zum Engelsjahr lockt ab sofort eine Straßenrallye in die City - Titel: „Klassenkampf“. Von der Zentralbibliothek aus können verschiedene Teams nun spielerisch den Aufstand proben.
Im Programm des Engelsjahres ist die Kooperation mit dem Verein „Die Urbanisten“ ein Angebot der entschieden aktiven Art. Interaktiv sogar, praktisch und bewegungsintensiv. Quer durch Elberfeld bis Richtung Hardt schwärmen die Teams mit Smartphone aus, um manchen Längen- und Höhenmeter zu stemmen. Gestemmt sein will auch ein strammer Aufgaben-Katalog; Prinzip: Erobern. Denn um Kampf geht es ja - Klassenkampf, genau gesagt.
Cordula Gladrow, Leiterin der Stadtbibliothek, und ihre Kollegin Katja Schneider freuen sich, auf diese unkonventionelle Art das Spektrum zum Jubiläumsjahr zu erweitern. Schneider: „Wir sind angetan davon, wie Geschichte hier transportiert wird.“ Der einfallsreiche Beitrag zu Engels 2020 wird übrigens gefördert vom Kulturministerium NRW, der Vereinigung der Freunde der Stadtbibliothek sowie von der Firma Knipex.
Von acht bis zu maximal 36 Personen können sich nun über die Bibliothek anmelden, um sich hier an der Kolpingstraße dann mit dem Spielmaterial auszurüsten. Das Prinzip ist einfach und komplex zugleich - besser: Ausgetüftelt, obwohl man recht fix starten kann. Zwei „Level“ wie im Computerspiel gliedern den Spaß, wobei auch bloß eines pro Termin möglich ist. Im ersten, „Industrielle Revolution“, spielen in sechs Teams alle gegen alle. So entscheidet sich, wer im zweiten zu welcher Gruppe gehört. „Urbanist“ Daniel Parlow, der das Spiel entwickelt hat, sagt dazu pragmatisch: „Alle, die verloren haben, sind die arbeitende Klasse.“ Sie und die „Bourgeoisie“ sind fortan Rivalen.
Zum hübsch gestalteten Material gehört als Basis pro Level ein Stadtplan. Die Welt des Wirtschaftens von Marx und Engels analysiert: Sie ist beim „Street Bingo“ nicht nur inhaltlicher Hintergrund, sondern liefert auch die Spielmethoden.
Der Bezug zu Engels
steht im Begleitheft
Bei dem Spiel gibt es viel zu tun: Es muss zum Beispiel ein Bild erst richtig erkannt werden, es zeigt eine sprayende Oma, auf eine Jalousie gemalt. Wer das Detail richtig am Altenzentrum Nähe Kasinokreisel lokalisiert hat, muss dort ihre Pose nachstellen, per Smartphone knipsen und unter den Mitspielern digital verbreiten. Der Bezug zum Revolutionär steht im Heft, mit dem Engels-Zitat: „Malt eure Parolen an jede Wand!“ Anderswo sind Passanten einzuspannen, um gemeinsam eine Formation zu bilden.
Engels-Event mit Frischluft und Spaßfaktor ist das also fraglos. Gefragt nach seiner Erfahrung mit solchen Spielinhalten, wird Parlow zwar nicht viel konkreter als dass sich Politik doch überall im Leben finde. Doch es genügen wenige Beispiele für den Eindruck: Ja, der kritische Blick fällt auch direkt auf unsere Zeit. Überwachungskameras etwa sind einmal zu suchen - was erstaunt erkennen lässt, wie viele davon es inzwischen auch hierzulande gibt. An anderer Stelle sollen Aufkleber gesucht werden, die sich gegen aktuellen Rassismus wenden.
Gute Voraussetzungen also, um „Klassenkampf“ auch im etwas anderen Sinn zu nutzen: für Schulklassen, also im Unterricht. Kritisches Bewusstsein im Alltag zu schärfen ist sicher ein pädagogisch wertvoller Ertrag, aber schon historische Kenntnisse zu Engels und seiner Zeit lassen sich so gewiss, wo nicht erlernen, so doch sicher einprägen.
Freilich meint „interaktiv“ nicht nur Austausch und Aktion. Das Wort riecht schwer nach Smartphone, und die digitalen Allzweckwaffen sind ganz selbstverständlich Teil des Ganzen. „Die Bourgeoisie schickt ein Foto von den Güterchips in die Chatgruppe“, heißt es in den Spielregeln etwa. Auch wer so etwas wie „GPS“ nicht viel näher kennt denn als Aufschrift auf Geldtransportern, mag erstaunt sein von der Routine, mit der diese Ortungstechnik hier zur Orientierung genutzt wird.
Doch auch dafür werden sich im Team schnell Prädestinierte finden. Wie sagten doch Marx und Engels: Entfremdung vom eigenen Tun macht unglücklich. Wer aber handyaffin ist, dürfte beim Spiel als Koordinator glücklich werden, der nächste reüssiert dann lieber mit Wissen oder Knobelgabe. Und wer gut und rasch zu Fuß ist, mag der Gruppe wertvolle Zeit einbringen - denn die Uhr tickt: Zu Ende ist das Spiel nach vorab vereinbarter Zeit. Bleiben wird in manchem Hirn bestimmt mehr Wissen zu Engels, ein veränderter Blick auf die Stadt - und vielleicht sogar ein bisschen rebellischer Geist.