Herr Demir, wann haben Sie zum ersten Mal eine Spielhalle betreten?
Interview Interview mit einem Spielsüchtigen: „Die Spielhalle war mein Zufluchtsort“
Wuppertal · Interview Serkan Demir (31) hat mehr als 100 000 Euro verzockt. Bei der Caritas fand er nach sieben Jahren Spielsucht Hilfe.
Serkan Demir (Name von der Redaktion geändert) hat sein ganzes Geld über sieben Jahre in Spielhallen und Wettbüros an der Gathe verzockt. Inzwischen hat er Hilfe bei einer Spielsuchtgruppe der Wuppertaler Caritas gefunden. Mit der WZ sprach er über seinen Leidensweg.
Serkan Demir: Das war Ende 2012. Angefangen hat es mit Fußball-Wetten, dann kamen die Automaten. Ich wollte eigentlich nur etwas Geld gewinnen, aber in kurzer Zeit ist das dann ausgeartet bei mir.
Was heißt „ausgeartet“?
Demir: Ein Jahr später war ich fast täglich spielen. Dabei habe ich die ersten Male eigentlich nur verloren. Ich bin trotzdem immer wieder hingegangen.
Warum? Das hat dann doch sicherlich keinen Spaß gemacht.
Demir: Das hat es in dem Sinne erstmal schon. Später habe ich ja auch angefangen zu gewinnen. Für mich war die Spielhalle aber vor allem ein Zufluchtsort. Ich wollte eigentlich immer nur alleine dort sein. Auch die Maschinen neben mir habe ich immer besetzt, damit sich keiner neben mich setzt. Ich wollte in Ruhe mein Geld da vernichten.
Wie viel haben Sie denn durch die Spielerei verloren?
Demir: Ich denke, das wird so im sechsstelligen Bereich liegen. Allein an einem Abend habe ich mal 1000 Euro verloren. Man hat nur noch gespielt bis nichts mehr ging. Gerade in den letzten zwei Jahren habe ich komplett die Kontrolle verloren. Dadurch habe ich dann in diesem Jahr auch meinen Job als Finanzbuchhalter verloren. Ich habe mich nämlich krank gemeldet und bin dann schon morgens spielen gegangen. Die Arbeitsleistung hat klar darunter gelitten.
Hohe Verluste und zuletzt auch kein Einkommen mehr - wie konnten Sie das finanziell stemmen?
Demir: Ich habe zwei Kredite aufgenommen, insgesamt über 22 000 Euro. Angeblich um mir ein Auto zu kaufen. Aber rund 16 000 Euro habe ich in Wirklichkeit fürs Spielen genommen und dachte, damit kann ich den großen Jackpot gewinnen. Das ist natürlich alles weg. Am Ende lief das auch über Beschaffungskriminalität. Man ist hinterher wirklich erschrocken, was man alles fürs Spielen getan hat.
Hat Ihnen das Spielen zu dem Zeitpunkt noch Spaß gemacht?
Demir: Spaß hat das schon lange nicht mehr gemacht. Es war mir klar, dass meine Spielsucht zu ernsthaften Konsequenzen führen wird. Aber gerade das hat mich wieder in die Spielhalle getrieben, weil ich da die Probleme von mir wegschieben konnte.
Wie haben Sie den Kreislauf durchbrochen?
Demir: Neben dem Jobverlust war meine Familie ein Faktor. Ich muss dazu sagen, dass ich meine Spielsucht sieben Jahre lang geheim gehalten habe. Aber irgendwann ist es aufgeflogen. Ich bin schon mal in der Spielhalle von einem Bekannten meines Vaters gesehen worden und später kamen auch immer wieder Mahn-Briefe nach Hause. Da musste ich mich dann offenbaren. Meine Familie war richtig schockiert. Ich habe ja quasi ein Doppelleben geführt.
Dann sind Sie zur Caritas gegangen.
Demir: Ja, ich gehe jetzt einmal die Woche zur Spielsucht-Gruppe. Das hilft mir sehr. Ich bin seit Anfang Juni spielfrei. Außerdem kann ich mich zum ersten Mal mit Menschen austauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich.
In der Gruppe wird doch sicher nach Ursachen für die Spielsucht gesucht. Welche sind das bei Ihnen?
Demir: Die Frage stelle ich mir auch jedes Mal. Ich habe meine Probleme immer mit mir selber ausgemacht, und in der Spielhalle konnte ich alles vergessen.
Wie ist Ihre finanzielle Situation heute?
Demir: Die Spielsucht hat mich ruiniert. Ich bin bei der Schuldnerberatung und muss sehen, ob für mich eine Privatinsolvenz in Frage kommt.
Was ärgert Sie rückblickend am meisten?
Demir: Fast mehr als das Geld ärgert mich die verlorene Zeit. Sieben Jahre habe ich investiert, die ich anders hätte nutzen können. Freunde und Sport habe ich vernachlässigt. Aber das alles hole ich jetzt nach.
Die Politik versucht ja stets, die Zahl der Spielhallen in der Stadt zu begrenzen. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Demir: Das ist völlig irrelevant. Wenn jemand spielen möchte, geht er spielen. Egal ob es an einer Stelle zehn Spielhallen gibt oder nur eine. Und wenn es keine Spielhallen mehr gibt, würden die Leute eben online spielen.