Bühnen-Ereignis "Die Wupper" Großes Theater mitten in der Stadt

Die Schwebebahn spielt auch prima mit: Zuschauer und Schauspieler sind mit der „Wupper“ unterwegs.

Foto: Christoph Sebastian

Wuppertal. Ein typischer Fall von „hätte, hätte, Fahrradkette“: Wenn Susanne Abbrederis mit der großartigen Inszenierung von „Die Wupper“ ihre Intendanz und das neue Theater eröffnet hätte, wären ihr und den Bühnen viel Kritik und Häme erspart geblieben.

Foto: Christoph Sebastian

Vor der Preview am Freitag fragte man sich ein wenig bang: Wird diese „Reise ins Innere der Stadt“ (Bühnen) ein schieres Spektakel oder richtiges Theater? Es wird das Bühnen-Ereignis der Saison, denn der Schweizer Regisseur Stephan Müller, der die fünf Akte an fünf Orte in der Stadt verlegt, lässt überwältigende Bilder aufsteigen aus Else Lasker-Schülers Stück. Roh realistisch und sprachlich poetisch wirft sie Schlaglichter auf das Elberfeld um 1900, in dem Arbeiter trotz erster Sozialgesetze für minimalen Lohn in den Fabriken schuften, es den Fabrikanten aber auch nicht mehr so glänzend geht.

Normal theatralisch fängt es auf der Bühne am Engelsgarten mit zwölf himbeerroten Stühlen im schwarzen Raum an. Allein durch die Kraft der Sprache werden die Zuschauer herangeführt an die Geschichte des Arbeitersohnes Carl Pius, der als Pastor gesellschaftlich aufsteigen möchte und mit dem kränkelnden Fabrikantensohn Eduard befreundet ist.

Die Augen gehen einem nach der ersten Busfahrt in der ehemaligen Bandweberei Büsgen über, wo die Spulen noch in den Maschinen hängen. Mittenmang bringen die Schauspieler die erste Szene im Arbeiterviertel auf die ungewohnte Bühne. Die Schwebebahn spielt prima mit, regelmäßig donnert sie vor den Fenstern vorbei. Mehr Lokalkolorit geht nicht, auch wenn das von der Dichterin vorgegebene Elberfelder Platt nach Westfalen und Berlin klingt.

Ausflugs-Ausgelassenheit macht sich selbst beim nächtlichen Besuch im Zoo nicht unter den Zuschauern breit — dafür agieren die Schauspieler zu intensiv. Regisseur Müller lässt das gesamte Rondell vor der Konzertmuschel bespielen, wogegen Gänse und Enten gelegentlich anschnattern. Im starken Suchscheinwerferlicht entfalten sich Szenen mit flitzendem Fahrrad und Elektrokarren sowie den drei Außenseitern vor einem gewaltigen Nadelbaum — brutal und entrückt zugleich.

Eine schöne Idee: Unterwegs sollen Experten das Stück historisch und biografisch einbetten. Der frühere Stadtarchivar Uwe Eckardt erledigt das bewusst kompakt. Wer Hajo Jahn, den Vorsitzenden der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft verpflichtet, dürfte wissen, dass der sein reiches Wissen liebend gern ausschüttet — es vor lauter Begeisterung aber selten chronologisch hinbekommt.

Der vierte Akt, der als Hörspiel auf einem Standstreifen an der Wupper gegeben wird, fällt ab, ist schnell vergessen. Umso eindrücklicher spielt Müller am niederländisch-reformierten Friedhof im Schlussakt mit den örtlichen Gegebenheiten: Durch die Kirchenfenster, vor, hinter, neben den Zuschauern bewegt sich das Ensemble.

Es wird ein hoher Aufwand getrieben, doch er lohnt — standing ovations nach der Premiere.