Iphigenie: Eine Rebellin als Priesterin
Die Inszenierung in der Börse wird zwiespältig aufgenommen.
Wuppertal. Die Menschen sind arme Würstchen. Gut verschnürt mit Schwimmweste und Fesseln winden sich Orest (Henning Strübbe) und sein Freund Pylades (Frank Watzke) auf dem Boden der Börse. Iphigenie kauert in der Inszenierung der Wuppertaler Bühnen in Embryonal-Stellung auf dem kleinen Podest, das den Tempel der Tauren bildet.
Hier herrscht keine stolze Priesterin. Maresa Lühle spielt Iphigenie als Girlie, das mit Springerstiefeln und Nietengürtel Stärke sucht, aber gleichzeitig mit hängenden Schultern und schiefem Stand Unsicherheit ausstrahlt und sich die Arme ritzt, dass das Blut spritzt. Regisseur Alexander Schilling setzt seinen Fokus sehr stark auf die Fremdheit von "Iphigenie auf Tauris". Schließlich betont die Titelfigur im Text, wie fremd sie sich in dem Land fühlt, in das sie die Göttin Diana als Priesterin gebracht hat. Deshalb muss der Taurer-König Thoas hier Denglisch sprechen.
Anfangs wirkt es sehr stark, wenn Andreas Ramstein gut prononcierte englische Sätze spricht und sein Diener (Jan Kämmerer) alles übersetzen muss. Es ist witzig, wie sich immer mehr deutsche Worte ins Englisch schleichen ("Be my Braut"). Doch irgendwann ermüdet die ständige Doppel-Sprache von Denglisch und Übersetzung, der eigentliche Goethe-Text geht über weite Strecken im Kauderwelsch verloren. Iphigenie lechzt hier nach jeder Nachricht aus der Heimat. Als sie erfährt, dass der an der Küste gefangen genommene Orest von dort kommt, küsst sie ihm gierig Gesicht, Haare, Körper. Und auch Orest wirft sich lüstern auf die Priesterin, von der er noch nicht weiß, dass sie seine Schwester ist.
Der vorher wild Tobende, der nur mit Spritzen zur Ruhe gebracht wird, wird erst durch die Kopulation mit Iphigenie wieder vernünftig. Die neue Schuld durch den Inzest bringt die durch seinen Muttermord hervorgerufenen Furien zum Schweigen.
Darüber hinaus packt Schilling Modernes in seine Inszenierung. Auf dicken, runden Gazewände, die Bühnenbildner Jeremias Vondrlik geschaffen hat, werden Filme oder das direkte Geschehen nochmals projiziert. Orest und Iphigenie gröhlen zur E-Gitarre. Doch dieses Beiwerk trägt nicht zum Verständnis des Geschehens bei. Schilling hätte besser daran getan, seinem eigentlich interessanten Ansatz zu vertrauen und ihn intensiver auszuarbeiten. Am Ende verlassen einige Zuschauer fluchtartig den Saal oder buhen gar, während andere begeistert applaudieren.
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