„Komm tanz mit mir“: Szenen einer unmöglichen Liebe
Grandiose Rückkehr von Jo Ann Endicott: Sie spielt die Hauptrolle, für die sie schon 1977 gefeiert wurde.
Wuppertal. "Leg Dich hin!" - "Steh auf!" - "Sing!" Worte können mehr Schaden anrichten als ein Pistolenschuss. Die Worte, die in Pina Bausch Ehedrama ("Komm tanz mit mir") über die Bühne fliegen wie Kugeln aus einem Maschinengewehr treffen ins Mark. Sie treffen die Frau, die im Rampenlicht (Jo Ann Endicott) steht und mit wachsender Verzweiflung all das tut, was der abgöttisch Geliebte (Urs Kaufmann) von ihr verlangt. Sie treffen aber vor allem auch die Zuschauer davor.
Denn wenn Kaufmann den herrischen Gebieter gibt ("Sag: ,Ich liebe dich’, aber so, dass ich es glaube"), gefriert das Blut in den Adern. Jedenfalls bei denen, die die Szenen einer Liebe so empfinden, wie sie das Wuppertaler Tanztheater im Schauspielhaus definiert: als dramatische Phasen eines Geschlechterkampfs, bei dem nicht einmal eine schusssichere Weste vor weiteren Verletzungen schützen könnte.
Die Tänzer tragen keine Westen, aber die passende Kleiderfarbe (Bühne und Kostüm: Rolf Borzik). Mit einem klaren Schwarz-Weiß-Kontrast erzählt das Wuppertaler Star-Ensemble von den Grauzonen der Liebe. Einer düster gekleideten Armee von Männern stehen die Frauen in luftigen Kleidchen gegenüber.
Was an sich schon ein Bild der Verletzlichkeit ist, wird laufend gesteigert: Frauen werden von Dunkel-Männern verfolgt, sie stürzen, schreien, flüchten und rennen die schräge Rückwand hoch - nur um in luftiger Höhe, auf einem traurigen Höhepunkt der Erkenntnis, festzustellen, dass sie doch immer wieder in das "gewaltige" Reich der Männer zurückrutschen. Der einzige Mann, der ein weißes Hemd zur hellen Hose tragen darf, ist Urs Kaufmann. Doch der Schein trügt. Das Manns-Bild mit dem schwarzen Hut und der dunklen Sonnenbrille entpuppt sich schnell als Macho. "Komm tanz mit mir", bittet Endicott, als sich die Partner in spe anfangs begegnen.
Was auf das erste schüchterne Mustern folgt, ist ein Psychokrieg: Während den Zuschauern schier der Atem stockt, rast Endicott unaufhaltsam über die Bühne. Jede Demütigung erträgt sie mit wachsender Zerbrechlichkeit und schwindendem Stolz. Dass die beiden Liebesleidenden am Ende tatsächlich tanzen, ist kein später Triumph, sondern ein Bild der Erschöpfung: Sie halten sich nicht aus purer Freude, sondern wie in Trance.
Kaufmann gelingt es, hinter der Macho-Fassade auch eine zarte, verletzliche Seite zu zeigen - dann etwa, wenn er der verlorenen Geliebten hinterherläuft, es dafür aber eigentlich schon zu spät ist. Endicott ist währenddessen der lebende Beweis dafür, dass es für eine Rückkehr nach Wuppertal nie zu spät ist: Schon als 27-Jährige war die Australierin ein Publikumsliebling. Dass sie nun 31 Jahre älter ist als bei der Uraufführung, ist kein Manko. Im Gegenteil. Ihre Rolle hat kein Tempo verloren, höchstens an Lebenserfahrung gewonnen.
Dass Pina Bauschs frühe Stücke so aktuell sind wie damals, zeigt das Ensemble in aller Dichte. Deutsche Volkslieder ("Hoppe Hoppe Reiter") werden gesungen, doch die Kinderspiele haben einen ernsten Hintergrund: Männer jagen Frauen und schlagen mit Ästen auf den Boden. All das wirkt wie Peitschenhiebe und Pistolenschüsse - und ist (mindestens) genauso bewegend wie bei der Uraufführung 1977.