Mittelsudberg: Wo Kinder auf der Straße spielen
An der Straße nach Stiepelhaus wohnt es sich ländlich. Reiner Backhaus hat Hühner, sein Haus ist nicht ans Kanalsystem angeschlossen. Zuweilen hilft er verirrten Paketdienst-Fahrern weiter.
Sudberg. Manchmal besuchen Reiner Backhaus Gäste und kommentieren seine idyllische Wohnlage ganz uncharmant. „Mensch, du wohnst hier aber am Arsch der Welt.“ Den Satz habe der 60-Jährige schon so manches mal gehört. Doch Backhaus nimmt den „Städtern“ diesen ersten Eindruck nach ihrer Anfahrt über die Mittelsudberger Straße nicht übel, denn er weiß ganz genau, was er an seiner Wohnlage hat.
Der gebürtige Sudberger lebt seit 1994 am unteren Ende von Mittelsudberg, kurz bevor die Straße zur Buckepiste wird und sich zu den letzten drei Häusern windet, die als Stiepelhaus — mehr oder weniger — bekannt sind. Wer das Auto diese kurvige Schotterstraße durch den Wald lenkt, muss nicht selten für Pferde an den Straßenrand ausweichen.
Am Rande der Großstadt
Mit Tieren ist auch Backhaus aufgewachsen. In seinem Garten züchtet er Geflügel. Dass um 4.30 Uhr der Hahn kräht, hört Backhaus schon gar nicht mehr. „Und die Nachbarn besteche ich mit ein paar frischen Eiern“, sagt der Familienvater. Natürlich kennt man sich in der Siedlung — und zwar so gut, dass jedes fremde Auto sofort auffällt. In die rund anderthalb Kilometer lange Einbahnstraße fährt niemand ohne Grund. „Die Kinder können hier noch auf der Straße spielen“, sagt der Familienvater, dessen Nachwuchs bereits ausgezogen ist. Ab und zu verirre sich ein Paketdienstfahrer, denn in Mittelsudberg folgen die Hausnummern keiner höheren Logik, sondern haben sich durch das Siedlungswachstum ergeben.
Einmal im Jahr fährt die Feuerwehr die geschwungene Straße ins Tal hinunter. „Die machen dann eine Probefahrt, ob sie noch durch die Kurven kommen“, berichtet Backhaus. Die Müllabfuhr kommt nur mit ihrem kleinsten Fahrzeug durch. Kurzum: Der Verkehr hält sich in Grenzen.
Backhaus liebt das ländliche und zurückgezogene Leben. „Hier hört man richtig, wie ruhig es ist“, sagt er. In der Tat, das Rauschen der großen Verkehrsadern kommt nicht in Mittelsudberg an. Dafür fehlt es auch an anderer Stelle an der Infrastruktur der Innenstadt. An Glasfaser-Internet ist nicht zu denken und an ein Kanalsystem sind die Häuser auch nicht angeschlossen. „Jedes Haus hier hat seine eigene Grube“, erklärt Backhaus. Alle sechs bis acht Wochen wird das Abwasser abgeholt.
Die größte Sorge im Hause Backhaus ist, dass ein Investor auf die Idee kommt, neue Häuser in die Idylle zu bauen. Obwohl der Geflügelzüchter mitten im Landschaftsschutzgebiet wohnt, gebe es ein paar Grundstücke auf denen eine Wohnbebauung möglich ist. „Meine Frau sagt: Wenn die Baufahrzeuge kommen, ziehen wir hier weg“, sagt Backhaus. Er kann sich nicht vorstellen, dass die Straße nach Stiepelhaus zusätzlichen Verkehr stemmen könnte. Verbreitern kann man sie nicht. Überall beschränken Garagen, Hecken und Gartenzäune den Lauf der Asphaltpiste.
Im heftigsten bergischen Winter sei es schon mal vorgekommen, dass der Räumdienst nicht mehr den Weg in die Siedlung gefunden hat. „Dann bin ich zur Fuß zur Arbeit gegangen“, erinnert sich Backhaus. Ein anderes Mal sei er mit dem Schlitten losgefahren, um seine Hühner von der Geflügelschau abzuholen. Doch Reiner Backhaus versalzen auch solche Unannehmlichkeiten nicht das Leben im Grünen: „Das sind Erlebnisse, die machen dann hinterher Spaß. Wenn man drüber erzählt.“