Serie Am Rande der Großstadt: Hinterm Haus sprengt Oetelshofen

Die Puppenspieler Günther und Ursula Weißenborn leben in Hahnenfurth, einem Ortsteil mit Historie. Noch heute liegt hier Kalkstaub in der Luft.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Hahnenfurth. Weiter am Rande von Wuppertal lässt es sich kaum wohnen. Günther und Ursula Weißenborn, die Strippenzieher hinter Müllers Marionetten-Theater, leben am westlichen Ende des Ortsteils Hahnenfurth. „Unseres ist das viertletzte Haus. Weiter westlich kommt dann Mettmann“, sagt Günther Weißenborn. Von dem blütenreichen Garten hinterm Haus, in den sich gerne auch mal ein Reh verirrt, blickt man ins Naturschutzgebiet. Dahinter Bäume, und dahinter — könnte man meinen endet die Erdscheibe. Nur 700 Meter trennen das Haus der Weißenborns von einer acht Hektar großen Schlucht — dem Kalksteinbruch Oetelshofen.

Der Kalkabbau geht an den Anwohnern nicht spurlos vorbei. So lassen sich mittags um 12 Uhr die Sprengungen im Kalkwerk hören und es weht so viel Kalkstaub durch die Luft, dass das Fensterputzen zur Sisyphos—Arbeit wird. Doch die Weißenborns arrangieren sich damit gerne. „Es ist ja immer die Frage, was zuerst da war. Hier ist es das Kalkwerk“, sagt Ursula Weißenborn. Sie mag diese „reale Arbeit“ hinter ihrem Haus. Dieses Unverfälschte schätzen die Puppenspieler. So wundert es auch nicht, dass ihr Sohn schon mal dem Sprengmeister im Werk assistiert hat. Ein Ferienjob.

Für Günther Weißenborn ist Hahnenfurth nicht nur eine Reihe von Häusern. Er findet es wichtig, die Zusammenhänge zu sehen und die Geschichte der Ortschaft zu kennen. „Wenn man irgendwohin zieht, muss man ja erst einmal gucken, wo man überhaupt ist“, sagt der Dramaturg.

Was als Ansammlung bergischer Höfe begann, verband sich später als Siedlungsgebiet untrennbar mit dem Kalkabbau. Seit 1930 wühlen sich südlich von Hahnenfurth die Maschinen in den Boden. In den angrenzenden Häusern wohnen heute noch immer einige Arbeiter des Werks. Bevor die Weißenborns vor 17 Jahren an die Straße Am Höfchen zogen, lebte in ihrem Haus der Technische Direktor des Werks. Der hatte das Gebäude selbst gebaut und dabei seine ganz individuelle Note hinterlassen. Fasziniert zeigt Weißenborn auf die Wendeltreppe des Hauses, die sich um ein altes Abflussrohr schlängelt, das damals einfach mit verbaut wurde. Die Terrasse zieren alte Bruchsteine. „Diesen Pragmatismus finde ich klasse“, sagt Weißenborn.

Das Haus gehört der Familie Iseke von den Kalkwerken. Nachdem Hermann Oetelshofen Jr. aus der Gründerfamilie des Unternehmens 1945 zum Kriegsende ums Leben kam, baute seine Schwester Elfriede Iseke den Betrieb aus dem Nichts wieder neu auf — mit der Arbeitskraft der Menschen aus Hahnenfurth. Die Weißenborns mögen diese Geschichte.

Der zum Quartier Schöller-Dornap gelegende Ortsteil hatte früher noch ein anderes Gesicht. Um 1900 wurden aus Hahnenfurth Postkarten versand, denn ein Tag im Haus Stöcker war ein Erlebnis. Das riesige Restaurant mit Glas-Anbau und weitläufigem Garten konnte damals Hunderte von Gästen fassen. „Da war richtig etwa los“, weiß Weißenborn und blickt auf das Gebäude, das heute nur ein unscheinbarer Backsteinbau ist.

Als die Weißenborns nach Hahnenfurth zogen, blieb noch eine Dorfkneipe, die ein halbes Jahr später als letzte Lokalität vor Ort den Zapfhahn für immer abdrehte. Auch der letzte Metzger der Siedlung musste sein Kerngeschäft aufgeben und verkauft nun nur noch Snacks an die Kalkarbeiter. Für ein Bierchen radelt der 66-Jährige nun nach Düssel. Ebenfalls für den Kreis Mettmann entschieden sich die Weißenborns bei der Einschulung des zweiten Kindes nach durchwachsenen Erfahrungen in Wuppertal. Der Weg nach Mettmann ist eben kurz, kürzer als nach Elberfeld. Das Leben am Rande, die Wuppertaler, die früher in der Südstadt lebten, wissen es zu schätzen. Weißenborn sagt: „Die Ränder von Wuppertal sind besonders schön.“