Vom Menschenrecht Wohnen Wuppertaler Diakonie-Direktorin Sabine Federmann über zunehmende Obdachlosigkeit
Wuppertal · Jedes Mal, wenn ich in unserer Zentralen Beratungsstelle für wohnungs- und obdachlose Wuppertaler Bürger vorbeischaue, sind die Postberge wieder gewachsen.
Unsere Mitarbeiter sortieren die Behördenbriefe für all jene, die keine Wohnung haben, aber eine Meldeadresse brauchen, in Postfächer. Rund 650 Männer sind gerade hier gemeldet – 15 Prozent mehr als im letzten Jahr. Hinzu kommen etwa 200 Frauen. Klaus Krampitz, Leiter unserer Beratungsstelle, kennt die Zahlen und viele Schicksale, die dahinterstehen. 2024 waren insgesamt 2100 wohnungslose Menschen bei uns gemeldet, erklärt er mir. Vor zehn Jahren sind es noch knapp 900 gewesen.
An der Post also lässt sich die zunehmende Wohnungslosigkeit in Wuppertal ausmachen. Doch ich sehe sie auch in den Straßen und am Bahnhof. Mehr Menschen laufen mit ihrem Hab und Gut in Plastiktüten herum, betteln und schauen die Mülleimer nach Pfandflaschen und Essensresten durch. Sie alle haben in unserem Sozialstaat ein Recht auf sogenannte „existenzsichernde Leistungen“, für die es eine Meldeadresse braucht, damit sie Bürgergeld erhalten.
Denn niemand soll in Deutschland hungern, frieren und ohne Obdach leben. Doch dieses Versprechen wird schwieriger einzuhalten. In unsere Beratungsstellen kommen immer mehr Familien und ältere Menschen, die sich regelmäßig bei der Tafel mit Lebensmitteln versorgen. Wir erleben Menschen, die in kalten Wohnungen sitzen, weil sie Heizung und Strom nicht mehr zahlen können und solche, die genau deshalb ihre Wohnung verlieren.
Als Diakonie sind wir nah dran an der Not. Mir kommt es manchmal so vor, als wenn diese Not – je sichtbarer sie wird – umso stärker den betroffenen Menschen zum Vorwurf gemacht wird. Wer den Job verliert, hat sich nicht genug angestrengt, wer Schulden macht, kann nicht mit Geld umgehen, wer die Wohnung verliert, ist ein schlechter Mieter und Nachbar.
Manchmal mag das stimmen, aber in vielen Fällen stecken Schicksale hinter der Not, die offenbaren, wie leicht unser Leben aus der Bahn geraten kann und wie leicht es jeden von uns treffen kann. Ohne Obdach, ohne einen Rückzugs- und Schutzort leben zu müssen, ist schlimm. Es verletzt ein Urbedürfnis des Menschen: das Menschenrecht auf Wohnen.
Bei der Diakonie ist es daher unser Ziel, wohnungslose Menschen nicht nur mit einer Postadresse und allem zu unterstützen, was existenziell ist - Bürgergeld, Krankenversicherung, medizinische Versorgung -, sondern auch aktiv bei der Suche nach einer Wohnung zu helfen. Direkt neben der Zentralen Beratungsstelle befindet sich das Projekt WOW (Wohnraumvermittlung und Begleitung für obdachlose und wohnungslose Menschen in Wuppertal). Über 250 Wohnungen konnte das Team seit seiner Gründung 2019 vermitteln. Alleine 50 waren es im vergangenen Jahr.
Da es auch in Wuppertal zu wenig öffentlich geförderten Wohnraum gibt, setzt das Team zunehmend auf private Vermieter. Doch es ist klar, dass das keinesfalls reicht, um die stetig steigende Wohnungslosigkeit in unserer Stadt zu überwinden. Wohnraum schaffen, eine wirksame Mietpreisbremse einführen – es gibt so Einiges, das Bund und Länder gegen Wohnungslosigkeit tun könnten. Dafür liegt sogar ein nationaler Plan vor, mit dem die Bundesregierung bis 2030 Wohnungslosigkeit überwinden wollte. Doch im Wahlkampf ist kaum noch die Rede davon.
Was also können wir tun? Unser Mitarbeiter Klaus Krampitz formuliert es so: „Wir unterstützen wohnungs- und obdachlose Menschen, wo wir können. Doch inzwischen geht es immer mehr darum, allen, die kein Zuhause mehr haben, den Rücken zu stärken, damit sie die Hoffnung nicht aufgeben.“