Was glauben Sie denn? Wuppertaler Kirchenkolumne: Vertrauenssache
Wuppertal · Es ist Wahlkampf. Die Masken fallen. Und hinter den Masken zeigen sich die wahren Gesichter.
Es ist verständlich, dass die Parteien um Wähler buhlen. Unverständlich ist allerdings, dass im Kampf um die Wählergunst Taschenspielertricks, Erpressungen, Unwahrhaftigkeiten und auch billige Stimmungsmache angewendet werden. Die Wählerinnen und Wähler sind doch nicht blöd! Was glauben Sie denn?
Drei Wochen vor der Bundestagswahl offenbaren die Parteien durch die Bank eine merkwürdige Sicht auf den eigentlichen Souverän. Der Anstand scheint vielen perdu zu sein. Die einen versuchen mit der wenig subtilen Ankündigung, es sei egal, wer die eigenen Anträge mittrage, die Parteien in der demokratischen Mitte faktisch zu einer Zustimmung zu drängen; die Gegner einer solchen Entscheidung goutieren das mit unverhohlenen Drohungen, Vandalismus und Schmierereien an Parteibüros. Der kommunikative Anstand ist verloren gegangen – und mit ihm die Währung, die für eine stabile Demokratie unerlässlich ist: das Vertrauen.
Der frühere Richter des Bundesverfassungsgerichtes Ernst-Wolfgang Böckenförde prägte das bekannte Diktum, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren kann. Auch wenn man von einer möglichen religiösen Intention Böckenfördes absieht, ist klar, dass es immer einen fundamentalen Grundkonsens braucht, ohne den die Demokratie ihre Stabilität verliert. In einem säkularen Staat ist das eben ein Vorschuss an Vertrauen in die Lauterkeit der Mandatsträger. Wenn die ihren eigenen Worten Taten folgen lassen, die dem Gesagten diametral entgegenstehen oder zu unlauteren Mitteln greifen, dann wird nicht nur das fundamentale Vertrauen zerstört; wird der Hang zur Unlauterkeit zur faktischen Grundhaltung, dann gewinnen die, für die die Lüge selbst Programm ist.
Zu den Merkwürdigkeiten der gegenwärtigen politischen Diskussion, die nicht mehr der Vernunft folgt, sondern an die nicht selten niederen Instinkte appelliert, gehört das Hochputschen des emotional ausbeutbaren Migrationsthemas. Nicht dass die Frage der Gestaltung einer geordneten Migrationspolitik unwichtig wäre.
Für den Alltag der allermeisten Mitbürgerinnen und -bürger wären die Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Situation, die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die Gewährleistung einer stabilen Infrastruktur, bei der man Brücken überqueren kann, ohne Angst, dass sie im nächsten Moment zusammenbrechen, und die Bahn endlich wieder verlässlich kommt und abfährt, relevanter. Aber es sind keine Themen, die man emotionalisieren kann; zu sehr hat man sich an die eigentlichen Missstände in der Gesellschaft gewöhnt. Wenn man aber auf der Straße gefragt wird, ob man für „illegale Migration“ ist, kann man doch nur mit „Nein!“ antworten. Wer ist schon für Illegalität? Niemand fragt, was „illegale Migration“ überhaupt sein soll. Aber man ist dagegen – und schon hat man satte Umfragewerte, auf die sich Politiker instinktsicher berufen.
Machen wir ein Gedankenexperiment. Was löst der Satz „Erna, das Bier ist alle“, in Ihnen aus. Wahrscheinlich Empörung. Glaubt Heinz eigentlich, Erna sei seine Bedienstete? Stellt man sich aber vor, Heinz stünde auf der Kellertreppe und ruft zu seiner Frau Erna nach oben, dass das Bier alle sei, verändert sich alles, denn Heinz ist auf dem Weg zum Getränkemarkt. Der Kontext, der kommunikative Globe, verändert alles. So hängt auch vieles von der Frage ab, die in Umfragen gestellt wird. Würde man danach fragen, ob man für eine Migration sei, ohne die viele Einrichtungen im Land, angefangen von Krankenhäusern, Pflegestationen und vielem anderen gar nicht mehr arbeiten könnten, gäbe es sicher andere Mehrheiten.
In der Bergpredigt lehrt Jesus: „Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.“ (Mt 5,37) Man muss kein glaubender Mensch sein, um zu erkennen, dass diese Haltung auch jenseits religiöser Dimensionen wahr sind. Trauen Sie niemandem, der Ja sagt und das Gegenteil tut. Hören Sie auf ihr Herz, liebe Leserin und lieber Leser. Vertrauen Sie von mir aus auch Ihrem Bauchgefühl. Besser noch wäre es, Sie benutzten den Verstand. Folgen Sie aber bitte niemals dem niederen Instinkt. Wählen Sie am 23. Februar 2025 die, die Ihr Vertrauen wirklich verdienen!