Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Am Anfang war das Wort

Wuppertal · Über Sprachschätze und andere Kostbarkeiten.

Hayat Chaoui ist Sängerin, Autorin, Pädagogin und leitet den Fachbereich Gesang an der Bergischen Musikschule.

Foto: Bettina Osswald

Im Anfang war das Wort. Wundersam, wenn zweibeinige Wesen winzige Geräusche und Klänge zu Lautketten verweben und Welten entstehen lassen. Mit dem Wunderwesen ist der anatomisch moderne Mensch gemeint. Der Mensch bedient sich seiner Sprache, um mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu treten, soziale Bindungen einzugehen und Wissen auszutauschen. Sprachen berichten von den Welten, wie sie von den Sprechenden wahrgenommen oder auch erfunden werden. Sprache stellt die Brille dar, durch die wir unsere Welt wahrnehmen und erleben und beeinflusst unsere Sichtweise auf die Welt. So wie sich unsere Lebenswelten verändern, so passt sich auch Sprache den Lebenswelten an.

Weltweit existieren derzeit knapp über 7000 lebende Sprachen. Doch die Unesco warnt: Jede zweite lebende Sprache ist aktuell vom Aussterben bedroht und damit auch jeweils eine komplette Kultur mitsamt ihrer Wissenswelt und biokulturellen Vielfalt. Ganz richtig gelesen, denn es gibt einen wissenschaftlich erwiesenen Zusammenhang zwischen Sprachvielfalt und Biodiversität. Dort, wo eine große Sprachdichte herrscht, findet sich auch eine überdurchschnittlich hohe biologische Vielfalt. Doch Sprachhierarchien weltweit bewirken, dass Sprachen und ihre Sprecherinnen und Sprecher nicht gesehen, gar unterdrückt werden und aussterben. Damit sterben Naturen, Kulturen und das bis dahin tradierte praktische Wissen darüber. Ein berühmtes Beispiel ist die ausgestorbene altägyptische Sprache. Der damit verbundene Pyramidenbau wirft bis heute Rätsel auf.

In Deutschland wird offiziell Monolingualität praktiziert. Deutsch gilt als Landes-, Standard-, Verkehrs- und sogenannte Muttersprache. Fast überall wird Hochdeutsch gelehrt und erwartet. Sogar deutsche Dialekte werden eher belächelt oder gar als minderwertig erachtet. Wer unterhält sich denn noch in Wuppertal im Alltag auf Platt? Menschen mit internationaler Familiengeschichte werden nach ihren Deutschkenntnissen eingestuft und bewertet. Wer noch nicht gut Deutsch spricht, hat schlechte Karten, obwohl viele zugewanderte Menschen bereits neben der Herkunftssprache oft auch weitere Sprachen beherrschen. Ein Sprachen-, Erkenntnis- und Wissensschatz über das, „was die (jeweilige) Welt im Innersten zusammenhält“, wird oft übersehen, nicht als Qualifikation genutzt bzw. sogar abgewertet.

Umso spannender wird es, wenn sich Frauen verschiedenster kultureller Hintergründe, Milieus und Generationen wöchentlich zum gemeinsamen Singen in den jeweiligen Herkunftssprachen treffen. Neben den häufigsten Sprachen der Welt wie Englisch, Spanisch, Arabisch und Russisch erfahren wir auch von kurdischen Sprachen, Baskisch und Quechua. Wer hat je von Malayalam oder Tschuwaschisch gehört? Jede Begegnung erweitert unmittelbar den sprachlichen und kulturellen Schatz, eröffnet unbekannte Welten und bereichert uns im interkulturellen Frauenchor der Bergischen Musikschule, die Women of Wuppertal (WoW). Während sich Negativschlagzeilen über Einwanderung in den Medien überschlagen, erleben wir im Miteinander unbekannte Erfolgsgeschichten: Die Hausfrau und Mutter von sieben Kindern, die in Deutschland alle eine akademische Laufbahn eingeschlagen haben und angesehenen Berufen nachgehen. Oder die einst Geflüchtete, die kürzlich zur rechten Hand des Geschäftsführers eines etablierten Unternehmens berufen wurde. Im Chor heben wir die kulturellen und sprachlichen Schätze und trotzen den reißerischen Überschriften. Wir leben das Miteinander und erfahren: Sprachvielfalt und kulturelle Diversität spiegelt unsere reiche und mannigfache Welt und bereichert uns alle. Am Anfang war das Wort, am Ende bleibt die Resonanz.

Weitere Resonanzen gern an kolumne@fnwk.de