Bürgergeld: Einkommen vom Staat – einfach so

Thüringens Regierungschef Althaus möchte monatlich 800 Euro an jeden Bürger zahlen und damit alle Sozialleistungen ersetzen.

Düsseldorf. "Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist." Den Satz des französischen Schriftstellers Victor Hugo hat sich Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) für seine Groß-Reform zum Motto gemacht. Er will einen kompletten Umbau des deutschen Sozialstaats "in den nächsten fünf bis zehn Jahren" durchsetzen. Ein "Solidarisches Bürgergeld" in Höhe von 800 Euro soll an jeden Bürger ab 18 Jahren ausgezahlt werden - ohne Bedingung. Dafür würden alle anderen Leistungen, vom Bafög bis zur Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wegfallen.

Von den 800 Euro blieben jedem Bürger 600 Euro zur freien Verwendung, 200 Euro müssten für die Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung eingesetzt werden. Anstelle des Kindergelds würde ein Bürgergeld von 500 Euro pro Kind ausbezahlt - auch hier gingen 200 Euro an die Krankenversicherung.

Radikal ist vor allem der Ansatz, das Geld bedingungslos auszuzahlen. Widerstand gibt es unter anderem vom Parteikollegen und NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der bei niedrigen Einkommen einen Kombilohn befürwortet: "Das Bürgergeld berücksichtigt nicht, ob jemand seinen Hintern aus dem Bett bekommt." Bei Rüttgers bekäme zusätzliche staatliche Unterstützung nur der, der auch arbeitet.

Das bisherige Rentensystem will Althaus ebenfalls umbauen. Denn das Bürgergeld erhält jeder, auch im Ruhestand. Dazu kommt eine Zulage von bis zu 600 Euro - abhängig von einer Zahlung des Arbeitgebers, die sich an der Lohnsteuer orientiert. Andere Lohnnebenkosten für den Arbeitgeber würden dann wegfallen. Durch diese Senkung der Lohnnebenkosten erwartet Althaus einen großen Anreiz für Wachstum und Beschäftigung. "Wir gehen von etwa einer Million zusätzlicher Jobs aus", sagte der Ministerpräsident im Interview mit unserer Zeitung.

Althaus greift die Idee der "Flat Tax" von Paul Kirchhof auf - wer viel verdient, würde nicht, wie bislang, einen höheren Einkommensteuersatz zahlen. Althaus schlägt zwei Steuersätze vor: Einkommen bis 1600 Euro würde mit 50 Prozent besteuert. Ab 1600 Euro würde sich der Einkommensteuersatz auf 25 Prozent halbieren. Ab dieser Grenze soll auch nur noch ein "kleines" Bürgergeld von 400 Euro ausbezahlt werden.

Zwei Beispiele: Wer 1000 Euro brutto verdient, muss 500 Euro Steuer bezahlen, bekommt aber 800 Euro Bürgergeld. Abzüglich der Krankenversicherung blieben 1100 Euro netto. Wer 2000 Euro verdient, bekommt 400 Euro Bürgergeld und zahlt 500 Euro Steuern (25 Prozent). Nach Zahlung der Krankenversicherung blieben 1700 Euro netto.

Die Kosten für sein Solidarisches Bürgergeld beziffert Althaus auf etwa 310 Milliarden Euro. Einspar-Möglichkeiten sieht er durch die radikale Vereinfachung seines Systems: "Durch den Abbau von Bürokratie und den Wegfall anderer Sozialleistungen könnten über 200 Milliarden Euro eingespart werden." Das Wachstum bringe zusätzlich Geld in die Staatskasse.

Nach einer Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes ist das Solidarische Bürgergeld finanzierbar. Das System sei mindestens kostenneutral, der Staat könnte sogar mit zusätzlichen Einnahmen von bis zu 46 Milliarden Euro rechnen. Das Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn spricht hingegen von einem Irrweg. Es könnte zwar bis zu 600 000 neue Arbeitsplätze geben. "Dieser Effekt würde jedoch durch staatliche Ausgaben in gigantischer Höhe erkauft."

Herr Althaus, statt "Fördern und Fordern" soll es Geld ohne Bedingungen geben. Was ist ihr Motiv für das Solidarische Bürgergeld?

Dieter Althaus: Wir sind in unserer Gesellschaft der Solidarität verpflichtet und wollen das auch leisten. Bei Hartz IV allerdings ist Solidarität an Bedingungen geknüpft. Diese Sanktionen führen nicht zu mehr Beschäftigung. Und der Sozialstaat wird über Steuern auf Arbeit finanziert, das ist gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv. Gerade für Gering-Verdiener sind hohe Abgaben demotivierend. Hartz IV frisst zudem Besitzstände auf. Das Bürgergeld soll ein neues Selbstverständnis bringen.

Was soll sich ändern?

Althaus: Das Solidarische Bürgergeld verbinden wir mit Vertrauen in die Leistung der Menschen, die mehr Eigenverantwortung und Initiative übernehmen können, weil ihre Existenz gesichert ist. Auf dieser Basis kann dann jeder seinen Wohlstand fördern. Außerdem sollen die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber beträchtlich sinken. Das schafft Arbeitsplätze. Unser heutiges System ist nicht zukunftsfähig und kann in 15 bis 20 Jahren nicht mehr existieren, weil sich die Kosten verdoppeln werden.

Ist ihr Projekt finanzierbar?

Althaus: Ja. Mehrere Studien belegen, dass die Einführung Wachstumsanreize bieten wird, die Steuermehreinnahmen bedeuten. Wir gehen von etwa einer Million zusätzlicher Jobs aus. Wir brauchen dringend ein stabiles Wachstum. Außerdem wird es in der Bürokratie mittelfristig hohe Sparpotenziale geben. Die Einführung des Bürgergeldes würde nach einer Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes ein Plus von 46 Milliarden Euro in den Haushalt bringen.

Wie und bis wann wollen Sie ihr Bürgergeld durchsetzen, ohne dass aus der Reform wieder nur ein "Reförmchen" wird?

PRIVAT Dieter Althaus wurde am 29. Juni 1958 in Heiligenstadt im Süden Thüringens geboren. Nach Abitur und Grundwehrdienst studierte er Physik und Mathematik und arbeitete als Lehrer. Der Katholik ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Karriere Seit 1990 sitzt der CDU-Politiker im Thüringer Landtag. Von 1992 bis 1999 war er Thüringer Kultusminister, seit Juni 2003 ist er Ministerpräsident. Die CDU hat hier eine absolute Mehrheit.