Das unregierbare Belgien

Nach dem Rücktritt von Yves Leterme sucht König Albert II. nach einem neuen Regierungschef.

Brüssel. In Belgien pflegen die Bürger ihre Regierungen durchzunummerieren: Martens eins, zwei, drei, Dehaene eins, zwei drei und so weiter. Das ist zweckmäßig wegen der Übersicht. Denn in dem komplizierten Staatswesen, wo für jede Legislaturperiode eine fragile Koalition aus flämischen und wallonischen Parteien geschmiedet werden muss, ist vorzeitiger Wechsel keine Seltenheit.

Und oftmals wechselt nur das Regierungsbündnis, der Regierungschef hingegen bleibt. So hat es Rekordhalter Wilfried Martens zwischen 1979 und 1992 auf neun Regierungen unter seiner Führung gebracht. Diesmal ist es anders: Die Chancen für Leterme zwei sind gering.

Diesmal ist der Regierungschef selbst gestürzt. Und wie es aussieht, wird Yves Leterme den Sturz politisch nicht überleben. Zwar hatte sich König Albert II. zwei Tage nach dem Demissionsgesuch des Premiers noch nicht erklärt, ob er den Rücktritt des 48-jährigen flämischen Christdemokraten, der erst seit März im Amt ist, annimmt.

Doch gingen die Kommentatoren geschlossen davon aus, dass das Zögern lediglich mit dem Bemühen des Monarchen zu tun hat, einen Ausweg aus der Krise zu weisen.

Dass dieser Ausweg kaum noch mit dem Namen Leterme verknüpft sein dürfte, hat drei Hauptgründe: Zum einen steht der starke Mann der flämischen Partei CD&V unter Verdacht, in der Affäre um den Verkauf der Fortis-Bank nach Frankreich versucht zu haben, die Justiz zu gängeln.

Sodann hat er seinen Justizminister und Parteifreund Jo Vandeurzen angeschwärzt, was ihm die eigene Gefolgschaft krumm genommen hat. Und schließlich hat Leterme ein weiteres Mal sein sagenhaftes Talent als Anti-Münchhausen unter Beweis gestellt: Je mehr er versucht, sich aus einer Schwierigkeit zu befreien, desto tiefer reitet er sich hinein.

Da hilft auch das herausragende persönliche Ergebnis bei den Parlamentwahlen im Juni 2007 nichts mehr - Leterme, der drei Anläufe zur Regierungsbildung brauchte und den Belgiern die (französische) Marseillaise als angebliche Nationalhymne vorträllerte, hat seinen Ruf als Unglücksrabe der belgischen Politik erneut bestätigt.

Angesichts der enormen Probleme Belgiens in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ist bei den fünf Koalitionspartnern (Christdemokraten und Liberale aus Flandern und der Wallonie sowie wallonische Sozialisten) die Neigung zu vorgezogenen Neuwahlen gering.

In Letermes eigener Partei gibt es zwei potenzielle Nachfolger: den angesehenen Präsidenten der Abgeordnetenkammer Herman Van Rompuy und Jean-Luc Dehaene, der bereits von 1992 bis 1999 Regierungschef war.

Auf beide hat König Albert in der Vergangenheit zurückgegriffen, als es um diffizile Regierungsbildungen und Kompromisse zwischen den zerstrittenen Volksgruppen ging.

Dehaene ist mit 68 Jahren freilich nicht mehr der Jüngste und hat außerdem gerade erst einen Notdienst-Job übernommen. Er soll die angeschlagene Bank Dexia wieder auf die Beine bringen.

Die größten Hoffnungen ruhen auf einem jüngeren Ehemaligen: Guy Verhofstadt hat das Land zwischen 1999 und 2008 regiert und ist nach Umfragen Belgiens populärster Politiker. Das Problem des 55-Jährigen ist die Partei. Die flämischen Liberalen haben nach ihrem dürftigen Abschneiden bei den letzten Wahlen eigentlich keinen Anspruch auf das Amt des Regierenden.