Faruk Sen: „Ich bin ein Junge vom Bosporus“

Hinauswurf: Ein Gespräch beim Italiener über Türken in Deutschland, über Politiker in Deutschland und über Faruk Sen, der zwischen diesen beiden Welten Brücken schlagen wollte – aber nun nicht mehr darf.

Düsseldorf. Unterstützung erhält Faruk Sen in diesen Tagen viel. Und die hat der Gründer und Direktor des Zentrums für Türkeistudien in Essen wohl auch bitter nötig. In rüder Form hatte in der vorigen Woche der Vorstand der Landesstiftung den 60-jährigen aus dem Amt geworfen.

Vordergründigen Anlass bot ein Artikel in einer angesehenen türkischen Zeitung, in dem Sen einen jüdischen Unternehmer verteidigte, der sich in der Türkei antisemitischer Attacken erwehren musste. Faruk Sen schrieb, die nach Europa ausgewanderten Türken verstünden am besten, was Ausgrenzung und Diskriminierung bedeuteten. Und dann kam die Formel, die dem Direktor das Genick brach: "Als Europas neue Juden stehen wir hinter Ihnen."

Vom "schweren Schaden" für die Integrationspolitik war sofort die Rede, vom "Holocaust-Relativierer", "Volksverhetzer" und vom Tatbestand der "Opferstatus-Erschleichung".

Die eigentlich Betroffenen aber sahen es nicht so: Der Zentralrat der Juden in Deutschland stellte sich hinter Sen und nannte die Entlassung "unseriös". Auch die jüdischen Gemeinden der Türkei verteidigten den Wissenschaftler. Selbst der Düsseldorfer Freundeskreis Heinrich Heine stärkte ihm jetzt den Rücken.

So sitzt dann Faruk Sen am Donnerstagabend mit Karl-Heinz Theisen, dem Vorsitzenden des Heine-Kreises, im "Bellini’s" an der Kö. Und macht auf den ersten Blick ganz und gar nicht den Eindruck eines Mannes, der seinen Kampf aufgibt. "Wie kann ich der Integration geschadet haben?", fragt Sen ein ums andere Mal und verweist auf die Auszeichnungen, die er für seinen Einsatz für die deutsch-türkische Verständigung erhalten hatte: das Bundesverdienstkreuz, den Verdienstorden des Landes oder kürzlich die Festschrift zu seinem 60.Geburtstag.

23 Jahre hat Faruk Sen das Zentrum für Türkeistudien geleitet, Politiker schmückten sich mit ihm und seinem Institut. Er war die Brücke zwischen Deutschland und der Türkei, zwischen den Türken in Deutschland und dem, was wir die "Mehrheitsgesellschaft" nennen. Faruk Sen erfüllte diese Funktion mit einem Charme, der für sich einzunehmen versteht und in dem sich viele lange und gerne sonnten. Aber plötzlich zählt all das nichts mehr.

Auch wenn Faruk Sen heute dieser Charme nicht verlassen hat, blitzt im Gespräch doch immer wieder die persönliche Katastrophe auf. Es ist die Tragödie eines Mannes, der für die deutsch-türkischen Beziehungen im Wortsinn gelebt hat und am Ende eines langen Weges feststellen muss, dass die Dinge doch nicht so waren, wie sie schienen. "Das ist nicht gerecht", klagt Faruk Sen dann und will einfach nicht glauben, dass man ihn nun wie einen Hund vom Hof jagt.

"Ich bin ein Junge vom Bosporus", sagt Faruk Sen einmal im Gespräch, und das soll wohl heißen: Ich kann auch kämpfen. Und deshalb besteht der 60-Jährige auf der "uneingeschränkten Rücknahme" der Kündigung. Ob denn nicht der Vorstand, der ihn mit Hausverbot, dem Austausch der Schlösser und der Sperrung des Email-Kontos über Nacht zur Unperson machte, damit signalisieren wollte, dass es keinen Weg zurück gebe?

Sen mag das nicht glauben. "Laschet ist mein Freund", setzt Sen auf den NRW-Integrationsminister, der als Vorsitzender des Kuratoriums am 18.Juli die letzte Entscheidung über sein Schicksal trifft.

Der Rauswurf könne keinen Bestand haben, ist sich Sen sicher. Nie habe es eine Abmahnung gegeben, und die nachgeschobenen Vorwürfe, er spreche "mit gespaltener Zunge", empören ihn: "Ich habe eine Zunge. Ich sage alles mit einer Zunge, ob in Deutsch oder in Türkisch." Die Reaktionen allerdings seien merkwürdig.

Denn: "Ich habe Frau Böhmer (die Integrationsbeauftrage der Bundesregierung) kritisiert in Deutschland - keine Reaktion. Tue ich das gleiche in der Türkei, herrscht plötzlich große Aufregung in Deutschland." Er habe immer offen seine Meinung gesagt, ob zu ausländerfeindlichen Kampagnen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch oder eben auch zu Frau Böhmer. Und alles, was er schreibe, in Deutschland und in der Türkei, sei nachzulesen in einem Pressespiegel, den sein Zentrum seit zehn Jahren herausgebe.

Warum dann der Ton in der Integrationsdebatte immer schärfer werde? Sen glaubt einen Teil der Antwort in den Erhebungen seines Instituts gefunden zu haben. Die allgemeine Verschlechterung der sozialen Lage in Deutschland trifft auch und bisweilen besonders stark die zugewanderten Türken: 30 Prozent der Türken sind arbeitslos, 43 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze.

Und es steige das Gefühl unter den Türken in Deutschland, diskriminiert und ausgegrenzt zu werden. "Das ist eine traurige Entwicklung." Und Faruk Sen sagt es nicht, aber es ist zu spüren: Die deutsche Politik macht ihn, den Boten, für die schlechten Nachrichten verantwortlich.

Er habe aber auch positive Entwicklungen unterstützt und propagiert. So als er die Türken aufforderte, in Deutschland Häuser zu bauen. Und darauf Hassbriefe von Deutschen bekam, die schrieben, sie selbst lebten seit Generationen hier und hätten noch kein eigenes Haus, und bevor die Türken hier eines erwerben könnten, wollten sie Faruk Sens Haus abbrennen.

Doch das ist in seinen Augen nicht typisch. "Meine größte Leistung ist, bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung Verständnis für die Lage der Türken in Deutschland geweckt zu haben", antwortet Sen unmittelbar danach. Und sein größter Wunsch? "Das Zentrum zu erhalten und an einen guten Nachfolger zu übergeben." Doch dafür müsste die Kündigung zurückgenommen werden. "Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann muss das klappen", sagt Sen. Und macht dabei nicht den Eindruck eines Mannes, der nicht um seine Haut kämpft. Denn: "Ich bin ein Junge vom Bosporus."