Interview: Blicke aus der Vogel-Perspektive
Hans-Jochen Vogel im Interview mit der WZ.
Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel über das Leben in einer Senioren-Residenz, über Sterbehilfe, die SPD, Kurt Beck – und „Oskar Lafontaine 1 und 2“.
Herr Vogel, vor gut zwei Jahren sind Sie mit Ihrer Frau Liselotte in die Münchner Seniorenresidenz Augustinum umgezogen. Haben Sie sich dort gut eingelebt?
Vogel: Es geht uns gut, es herrscht hier eine angenehme Atmosphäre. Meine Frau konnte wegen ihrer Knieprobleme nicht mehr in der alten Wohnung bleiben, die nur über eine steile Treppe zu erreichen war. Jetzt ist das alles viel einfacher.
Trauern Sie nicht auch der größeren Selbständigkeit nach, die Sie früher zu Hause hatten?
Vogel: Nein. Wir haben ja eine abgeschlossene Wohnung. Wenn man die Tür schließt, ist man ganz für sich. Wir machen uns das Frühstück selbst. Mittags gehen wir dann ins Restaurant hinunter. Da gibt es immer drei verschiedene Angebote. Außerdem haben meine Frau und ich ja unsere sozialen Kontakte mitgenommen. Es war kein Rückzug in einen Schlafsaal.
Sie hatten in einem früheren Interview in Aussicht gestellt, sich vielleicht noch mit dem Internet zu beschäftigen. Sind Sie mittlerweile auch unterwegs im "World Wide Web"?
Vogel: Nein, jedenfalls noch nicht. Ich bin zwar Eigentümer eines Computers und kann gut damit umgehen, aber beim Internet bin ich zurückhaltend. Wissen Sie, ich kenne mich ja: Wenn ich erst einmal angeschlossen wäre, würde ich viel zu lange vor dem Computer sitzen und pedantisch Informationen sichten und sammeln.
Haben Sie im Augustinum auch neue Freundschaften geschlossen?
Vogel: Wir haben eine sehr nette Tischgemeinschaft - sechs Damen und außer mir ein weiterer Herr. Wir haben dort eine rechte Freude miteinander, und an Themen mangelt es auch nicht.
Politische Themen?
Vogel: Nur gelegentlich. Außerdem gibt es hier im Haus eine Fülle kultureller Angebote, die meine Frau gerne wahrnimmt. Ich selbst bisher nur ausnahmsweise, weil ich doch noch viel unterwegs bin.
Sie sind ja auch sehr gefragt, Herr Vogel, wie auch viele andere ältere Politiker, die schon lange kein Amt mehr innehaben. Wie erklären Sie sich das große Interesse der Medien an den Polit-Senioren?
Vogel: Ältere bringen Erfahrungen mit, die die Jüngeren nicht haben können. Und wir können uns unbefangener äußern, weil unsere Antworten nicht unmittelbar Rückwirkungen auslösen wie bei Amts- oder Funktionsinhabern. Vielen Gesprächsrunden tut das ganz gut.
Ein Thema, das Jung und Alt bewegt, ist die Sterbehilfe. Gewerbsmäßigen Sterbehelfern wie dem früheren Hamburger Senator Roger Kusch soll das Handwerk gelegt werden.
Vogel: Ich habe den konkreten Vorgang als abstoßend empfunden. Allerdings ist es gut, dass über das Thema intensiver diskutiert wird. Ich halte die Gesetzesvorlage, die nun in den Bundesrat eingebracht wurde, für diskutabel. Selbstverständlich muss ich die Entscheidung eines Menschen, sich das Leben zu nehmen, respektieren, obwohl ich sie für falsch halte. Denn meine persönliche Auffassung ist, dass uns das Leben vom Herrgott gegeben wurde. Außerdem darf der Wunsch eines Menschen, seinem Leben ein Ende zu bereiten, keinesfalls durch Helfer befeuert werden, die das gewerbsmäßig tun.
In Ihrer Partei ist man zurückhaltend, was den Gesetzentwurf angeht. Offenbar ist es nicht einfach, die Trennlinie zwischen einer gewerbsmäßigen und einer nicht gewerbsmäßigen Sterbehilfe juristisch sauber zu ziehen.
Vogel: Aber das gibt es doch auch an anderer Stelle im Strafrecht, dass man die Grenze entlang der Gewerbsmäßigkeit zieht. Dass diese Grenze mitunter nicht leicht festzustellen ist, gebe ich zu. Das ist aber kein Grund für den Gesetzgeber, nichts zu tun.
Sie und Ihre Frau haben eine Patientenverfügung erstellt. Wenn es um die passive Sterbehilfe geht, haben viele Ärzte Angst, sich strafbar zu machen.
Vogel: Die Rechtslage ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an sich eindeutig. Dass es so schwierig sein soll, Ärzte mit der Rechtslage vertraut zu machen, wundert mich. Aber zur Klarstellung und zur Entscheidung über die Reichweite einer Patientenverfügung kann ein Gesetz durchaus beitragen.
Herr Vogel, Anfang der 90er Jahre haben Sie freiwillig den Vorsitz von Partei und Fraktion geräumt. Nicht wenige raten SPD-Chef Kurt Beck, nun auch zu gehen.
Vogel: Kurt Beck musste in den vergangenen Wochen eine Situation durchstehen, die ich niemandem wünsche. Ein Großteil der Medien hat ihn auf eine Art und Weise dargestellt, die seiner Person in hohem Maße Unrecht tut. Erfreulicherweise gibt es ja erste Medienstimmen, die das selbst problematisieren. Kurt Beck hat jedenfalls meinen Respekt dafür, wie er diese Kampagne bislang durchgestanden hat, und er verdient die Unterstützung der gesamten Partei.
Nach jüngsten Umfragen beträgt der Abstand zwischen SPD und FDP weniger als zehn Prozentpunkte. Welchen Anteil hat die Linkspartei - und vor allem deren Parteichef Oskar Lafontaine - am Niedergang der SPD?
Vogel: Zunächst einmal: Ich warne davor, Umfragen zu überschätzen. Wie sie irren können, haben wir bei der vergangenen Bundestagswahl 2005 gesehen. Natürlich hat uns die Linkspartei bei den letzten Wahlen Stimmen weggenommen. Aber mit ihren populistischen Parolen kann sie es auf Dauer nicht schaffen. Außerdem ist der personelle Unsicherheitsfaktor nicht zu unterschätzen. Der von Ihnen genannte Vorsitzende ist in noch stärkerem Maße als früher ein Egozentriker. Es bleibt abzuwarten, welche Konflikte das in den eigenen Reihen noch hervorruft.
Es klingt bitter, wenn Sie von Lafontaine sprechen.
Vogel: Es gibt Lafontaine 1 und Lafontaine 2. Lafontaine 1 hat im Saarland keine schlechte Arbeit geleistet, erst als Oberbürgermeister, dann als Ministerpräsident. Er ist mit dem schweren Anschlag, den er erleiden musste, respektabel fertig geworden. Und er hat seinen Anteil an dem Wahlsieg der SPD 1998. Aber dann gibt es eben Lafontaine 2: Dass einer von einem Tag auf den anderen den Vorsitz einer Partei, den ein Bebel, ein Schumacher, ein Brandt innegehabt hat, wegwirft wie ein Stück Holz und dann ausgerechnet in der Bild-Zeitung die eigene Partei mit regelmäßigen Kolumnen bekämpft - das ist unentschuldbar.
Herr Vogel, Sie wurden in Ihrer Karriere oft als "Oberlehrer" verspottet. Hat Sie das gekränkt?
Vogel: Nein, ich komme damit gut zurecht. Wenn man an seine früheren Lehrer denkt, dann gibt es doch immer zumindest einen, an den man sich gerne erinnert. Es gibt schlimmere Beinamen. Zuchtmeister oder Feldwebel zum Beispiel.