G8-Gipfel: Razzien in linker Szene lösen Straßenschlachten aus
Die Opposition übt Kritik an Durchsuchungsaktionen der Polizei. Rund 2000 Demonstranten richteten sich in Heiligendamm teils mit Gewalt gegen das Vorgehen der Polizei.
Karlsruhe. Nach der Großrazzia vor dem G8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni im mecklenburgischen Seebad Heiligendamm haben rund 2000 Demonstranten in Hamburg teils mit Gewalt gegen das Vorgehen der Polizei protestiert. Bei den Auseinandersetzungen in der Nacht zu gestern wurden eine Passantin und drei Beamte verletzt. Die Grünen sowie Teile von SPD und FDP kritisierten gestern die gegen linksradikale Gipfelgegner gerichtete Durchsuchungsaktion und warnten vor einer Kriminalisierung des legalen Protests. Bei der Aktion vom Mittwoch hatten 900 Beamte in sechs norddeutschen Bundesländern 40 Wohnungen und Szenetreffs durchsucht und dabei Computer, Datenträger und schriftliche Unterlagen beschlagnahmt. Grünen-Chefin Claudia Roth nannte die Aktion unverhältnismäßig. Weil es solche gewaltbereite Gruppen gebe, "kann man nicht eine ganze Bewegung kriminalisieren und in eine terroristische Ecke stellen", sagte sie. Auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) warnte vor der Kriminalisierung der Gipfelgegner: "Man darf nicht die vielen Menschen, die Fragen stellen, und die wenigen, die kriminell sind, in einen Topf werfen."CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte, beim G8-Gipfel gelte es, die Sicherheit aller Teilnehmer zu gewährleisten. "Auf der anderen Seite müssen wir Grundrechte schützen - und dazu gehört auch das Demonstrationsrecht." Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz sieht derweil keine wachsende linksextremistische Bedrohung in Deutschland, hält die Aktion der Bundesanwaltschaft gegen Gegner des G8-Gipfels aber gleichwohl für eine "sachgerechte Maßnahme".
KOMMENTAR: Alle Beteiligten sollten verbal abrüsten
G8-Gipfel ziehen, wo immer sie auch stattfinden, den Protest von Gegnern der Globalisierung an. Deshalb verwundert es nicht, dass die deutschen Sicherheitsbehörden knapp einen Monat vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs im Ostseebad Heiligendamm alarmiert sind. Gerade deshalb gilt es, kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn mancher Verschwörungstheoretiker bereits über die Gefahr eines neuen Links-Terrorismus in der Tradition der mörderischen RAF schwadroniert. Nein, es bedarf einer differenzierten Betrachtung. Demonstrationen sind ebenso Wesensmerkmal eines demokratischen Gemeinwesens wie staatlicher Schutz vor den Feinden der Demokratie. Weder gibt es ein Recht auf Randale, noch ist es erste Bürgerpflicht, den Mund zu halten, wenn ein US-Präsident anreist. Klar ist allerdings auch: Sollte ein begründeter Anfangsverdacht gegen Terrorverdächtige bestehen, müssen die Sicherheitsbehörden handeln. Dies schließt präventives Vorgehen zur Abwehr von Gefahren ausdrücklich ein. Nicht zu rechtfertigen wären dagegen Polizeiaktionen, die lediglich der Einschüchterung von G8-Kritikern dienen sollen. In diesem Zusammenhang verwundert es daher schon, dass es nach den Razzien in Hamburg, Bremen und Berlin keine Festnahmen oder Haftbefehle gab. Haben dafür etwa die Anhaltspunkte und belastbaren Indizien gefehlt? Weder darf es zu staatlichen Überreaktionen kommen noch zur Kriminalisierung des friedlichen Protests. Die allermeisten Globalisierungskritiker, zu denen schließlich auch internationale Stars wie der U2-Sänger Bono gehören, haben mit gewaltbereiten Kriminellen nichts zu tun. Als Reaktion auf die spektakulären Razzien kann man allen Beteiligten nur raten, verbal abzurüsten. Wer nun etwa das Gespenst eines erstarkenden Links-Terrorismus an die Wand malt, dramatisiert maßlos und betreibt gefährliche Panikmache. Allerdings sollten auch die G8-Gegner alles daran setzen, dass ihr Protest gegen die Globalisierung friedlich verläuft, auch um das eigene Anliegen nicht in Misskredit zu bringen. Es wäre fatal, sollte sich wenige Wochen vor dem wichtigsten politischen Ereignis des Jahres in Deutschland eine Spirale der Eskalation entwickeln.