London. Das Dorf Sedgefield könnte am Donnerstag einen historischen Tag erleben. Denn wenn es so kommt, wie Londoner Zeitungen es vorhersagen, wird Tony Blair heute in Sedgefield seinen Abschied von der Politik erklären. Dafür wäre die 5000-Seelen-Gemeinde gut gewählt. Denn genau dort hatte Anthony Charles Lynton "Tony" Blair seine Laufbahn als Profipolitiker begonnen. 1984 machten ihn die Wähler des Kreises Sedgefield erstmals zum Abgeordneten des Unterhauses in London. Bei ihnen will sich Blair für den Anschub zu einer großen Politiker-Karriere bedanken. Erwartet wird, dass er dabei das konkrete Datum seines Rücktritts im kommenden Sommer nennt. Damit würde er einem Mann den Weg ebnen, der schon seit zehn Jahren auf seine große Chance wartet: Gordon Brown. Aller Voraussicht nach wird Blair ihn als Nachfolger vorschlagen, obwohl er sich bis zuletzt vor einem klaren Bekenntnis für seinen Finanzminister gedrückt hatte. Der Noch-Regierungschef soll insgeheim sogar versucht haben, einen Gegenkandidaten zu Brown aufzubauen. Das gelang nicht - und so sagte Blair vergangene Woche ausgerechnet bei seinem zehnjährigen Amtsjubiläum: "Brown würde einen großartigen Premierminister abgeben."
Brown ist der "Prinz Charles der Downing Street"
Ob Blair davon wirklich überzeugt ist, ist zu bezweifeln. Die beiden Männer sollen durch eine Geheimabsprache von 1994 aneinander gebunden sein. Blair soll damals ohne eine Gegenkandidatur von Brown die Führung von Labour übernommen und mit ihm an der Seite 1997 das Amt des Premierministers erkämpft haben. Im Gegenzug soll Blair versprochen haben, Brown zu seinem Nachfolger zu machen. Auf die Einlösung dieses Versprechens hat der Schatzkanzler eine gefühlte Ewigkeit gewartet, in den britischen Medien galt er deshalb schon als "Prinz Charles der Downing Street". Nun macht Blair ihm Platz, hinterlässt allerdings kein leichtes Erbe: Labour liegt in den Umfragen auf dem tiefsten Stand seit Jahren. Brown hat viel zu tun. Er hat sich einen Neuanfang vorgenommen. Dazu will er so viele Minister wie möglich austauschen und Medienberichten zufolge symbolisch auf den Landsitz Chequers verzichten, auf dem sich seit Jahrhunderten britische Premierminister am Wochenende erholen. Brown will nicht entspannen - er möchte endlich allen zeigen, was er kann.
Gordon Brown
Karriere: Gordon Brown sitzt seit 1983 im britischen Parlament, zuvor arbeitete er als Universitätsrektor und beim Fernsehen. Nach dem ersten Wahlsieg der von ihm und Blair ins Leben gerufenen "New Labour" übernahm er 1997 das Finanzministerium. In seiner Zeit als Schatzkanzler fielen Inflation und Arbeitslosigkeit in Großbritannien auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten.
Privates: Der 56-Jährige gilt als "hochintellektuell mit menschlichen Schwächen". Trotz seiner Erfolge blieb er den Briten lange suspekt, galt als Einzelgänger. Hinzu kam, dass Brown, weil er in seiner Jugend bei einem Rugbyspiel sein Sehvermögen auf dem linken Auge verlor, immer etwas verkniffen guckt. Nahbarer wurde der Schotte erst, als er mit knapp 50 Jahren Sarah Macaulay heiratete. Als ihr Töchterchen Jennifer Jane zehn Tage nach der Geburt starb, trauerte das ganze Land mit dem Minister. Inzwischen haben Gordon Brown und seine Ehefrau zwei Söhne.