Gordon Brown – fast allein auf dem sinkenden Labour-Schiff

Die Zahl der Minister, die dem Premier den Rücken kehren, wächst. Wie lange kann er sich selbst noch halten?

London. Die britische Regierung steht am Rande des politischen Abgrundes: Innerhalb von 24 Stunden hat am Mittwoch mit Hazel Blears die vierte Ministerin ihren Posten geräumt. Die Meuterei im Kabinett lässt Premier Gordon Brown um sein politisches Überleben kämpfen - und das ausgerechnet zur bereits am Donnerstag in Großbritannien stattfindenden Europawahl.

Mit einer solchen Mannschaft braucht Gordon Brown keine Opposition mehr: Am Mittwoch verkündete Gemeinde-Ministerin Hazel Blears ihren Rücktritt und brachte so den taumelnden Regierungschef weiter in Bedrängnis. Wenige Stunden zuvor hatten bereits Innenministerin Jacqui Smith, Jugendministerin Beverly Hughes und der Brown-Vertraute Tom Watson das sinkende Labour-Schiff verlassen.

Browns politischer Tod schleppt sich langsam und quälend. "Ich will als Labour-Abgeordnete der Partei helfen, zurück zu den Wurzeln zu finden und Wähler zu überzeugen, dass ihre Werte immer noch unsere sind", rechtfertigte Blears giftig die vorzeitige Räumung ihres Ministerpostens.

Ursprünglich hatte Brown für diese Woche geplant, sein Kabinett umzubauen, um Autorität und Führungsstärke zu demonstrieren. Doch die vier prominenten Abgänge aus seinem Team sabotieren auch diesen letzten, verzweifelten Plan.

Am Donnerstag wird in England mit einem Dammbruch gerechnet, der Brown fortspülen könnte: Bei den Kommunal- und Europawahlen schafft es die Regierungspartei laut Umfragen höchstens noch auf 17 Prozent und würde damit hinter Konservative und Liberale zurückfallen.

Für die lädierte Regierung, die seit drei Wochen mit täglich neuen Enthüllungen im größten Spesenskandal der britischen Geschichte konfrontiert wird, wäre das Wahlergebnis der letzte Sargnagel. Um zehn Prozentpunkte ist Labour seit Mai in der Wählergunst gesunken; gleichzeitig verzeichnen Rechtskonservative und Protestparteien so großen Zulauf, dass sie es heute unter die 72 britischen EU-Abgeordneten schaffen könnten.

In den Wirren von Westminster, in denen kein Politiker weiß, wer am nächsten Tag für seine Spesenverfehlungen am Pranger steht, gibt es nur die eine Sicherheit: Wenn Gordon Brown sein Kabinett nicht in den Griff kriegt, wird er aus dem Amt gedrängt. Schicksalsentscheidend sollen die nächsten 48 Stunden sein.

Wer oder was dem belagerten Premier noch helfen könnte, ist ein Rätsel. Selbst die Labour-freundliche Tageszeitung "Guardian" verteilte am Donnerstag zum ersten Mal böse Hiebe: In einer einmaligen Aktion setzte das Blatt seinen Leitartikel auf die Titelseite und ätzte, dass es "keine Vision von Brown gibt, keinen Plan, keine Zukunftsargumente und keine Unterstützung".

Schon die Personalien seiner scheidenden Innen- und Gemeindeministerinnen zeigen Browns ausweglose Situation: Beide Damen hatten sich in den Spesenskandal verstrickt - Jacqui Smith wegen der nächtlichen Sehgewohnheiten ihres Gatten, dessen Pornokosten auf ihrer Abrechnung landeten, und Blears, weil sie Kapitalertragssteuern hinterzogen hatte.

Mit einem Rausschmiss der Ministerinnen hätte Brown indes eine Meuterei im Kabinett riskiert. Blears und Smith gelten als Mitglieder der gut vernetzten Fangemeinde um Ex-Premier Tony Blair, dessen Fortgang viele noch nicht verschmerzt haben. Brown rügte sie, aber ließ sie im Amt - und muss nun ertragen, dass sie ihn auf dem Weg nach unten noch schubsen.