Bundeswehr: Rekruten misshandelt?
Vor dem Landgericht Münster sind 18 Ausbilder angeklagt. Sie sollen Untergebene zur Übung in „Geiselhaft“ genommen haben.
<strong>Münster. Die Stimmung im großen Saal des Landgerichts Münster hat etwas Militärisches. "Jawohl!" antworten die 18 jungen Männer auf der Anklagebank auf die Fragen des Vorsitzenden Richters. Einer trägt eine graue Uniform, die anderen sind in Zivil gekommen. Alle sind sie vorbildliche Soldaten gewesen, zuverlässig und dienstbeflissen, mit Orden dekoriert. Im Sommer 2004 schossen sie aber nach Lage der Dinge übers Ziel hinaus. Jetzt müssen sie sich auf der Anklagebank des Vorwurfs erwehren, Rekruten nicht ausgebildet, sondern misshandelt zu haben. Heerscharen von Medienvertretern sind gekommen, um über einen der größten Prozesse in der Geschichte der Bundeswehr zu berichten.
Ziel war es, einen "Höhepunkt" in der Ausbildung zu setzen
Dabei hatten sie es eigentlich gut gemeint, beteuerten die Angeklagten gestern zum Prozessauftakt. Ziel war, so formulierten es der frühere Kompaniechef und ein Hauptfeldwebel, einen "Ausbildungshöhepunkt" zu setzen. Während eines nächtlichen Orientierungsmarsches sollte eine simulierte Geiselnahme geübt werden, so wie es die ehemaligen Sfor-Soldaten aus ihrer eigenen Ausbildung für den Bosnien-Einsatz kannten. Was anfangs gut gemeint war, soll sich laut Anklage allerdings zum Exzess entwickelt haben. Nach Aussage von Zeugen bekamen Rekruten Stromstöße über einen Feldfernsprecher versetzt. Ihnen wurde Sand in die Uniform gestreut, damit sie sich wund laufen. Mit einer Kübelspritze pumpten Ausbilder ihnen Wasser in die Hosen und auch in den Mund - Schläge und Tritte inklusive. Wie konnte es in der Armee eines demokratischen Landes zu diesen Auswüchsen kommen? Das "Darmstädter Signal", ein Zusammenschluss kritischer Bundeswehr-Offiziere, hat eine klare Antwort: Das Ganze hat System. Die Bundeswehrspitze habe genau das, was in Coesfeld passiert ist, unterschwellig verlangt, sagte der Vorsitzende der Organisation, Oberstleutnant Jürgen Rose, gestern im Gespräch mit dem Nachrichtensender N24.Angeblich fanden die Rekruten die Ausbildung in Teilen "richtig geil"
Strafverteidiger Hans-Joachim Ahnert, der Anwalt des früheren Kompaniechefs, formulierte es so: "Das war damals der Geist, der in der Bundeswehr herrschte." Dass sich die Rekruten nicht gewehrt hätten, sondern die Ausbildung in Teilen auch noch "richtig geil" fanden, wie einer der Angeklagten aussagte, werfe ein bezeichnendes Bild auf den Zustand der Wehrpflichtigenarmee, sagte Rose. Laut Ahnert habe es in der Bundeswehr einen weitgehenden Konsens darüber gegeben, die Ausbildung realitätsnäher zu gestalten. Niemand sei jedoch bereit gewesen, solche Anforderungen schriftlich zu fixieren. So tauchten auch im gestrigen Prozess immer wieder Schriftstücke auf, die unklare Anweisungen und allgemein gehaltene Formulierungen enthalten. Das Wort "Geiselnahme" stand auf keinem Papier. Ein ehemaliger Zugführer schildert, anfangs sei alles glatt gegangen, doch irgendwann sei die Stimmung gekippt. Der Ton wurde rauer, Übungen mussten abgebrochen werden, weil sich Rekruten nicht mehr so verhielten, wie sie sollten. Die Unteroffiziere hatten die Situation nicht mehr im Griff, der Kompaniechef schaute nach eigener Aussage nicht genau hin. Und am Ende will es keiner gewesen sein. Vor Gericht sagten die ersten der 18 Angeklagten aus, von Misshandlungen mit Stromstößen und Wasser hätten sie nichts mitbekommen.Die Kaserne und das Dienstrecht
Freiherr-von-Stein-Kaserne Nach Bekanntwerden der Vorwürfe von Rekruten-Misshandlungen war die Freiherr-von-Stein-Kaserne in Coesfeld 2004 in die Schlagzeilen geraten. Dort waren die angeklagten Ausbilder und die Rekruten seinerzeit stationiert. Die Kaserne ist nach dem preußischen Reformer Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-1831) benannt. In Coesfeld sind 1186 Soldaten stationiert.
Bataillone und Kompanien Die Kaserne im Südwesten Coesfelds ist Sitz des Artillerieaufklärungsbataillons 71 mit 789 Soldaten. Hinzu kommen drei Kompanien des Instandsetzungsbataillons 7 mit 331 Soldaten und ein Sanitätszentrum, in dem 66 Soldaten arbeiten. Im Jahr 2009 soll der Bundeswehrstandort komplett aufgegeben werden.
Dienstrecht Neben der strafrechtlichen Verfolgung wegen Rekrutenmisshandlung ist die Bundeswehr schon dienstrechtlich gegen die Ausbilder vorgegangen. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurden alle 18 jetzt Angeklagten vom Dienst suspendiert. Die Suspendierungen mussten zum Teil wieder aufgehoben werden. Aktuell sind noch 14 Soldaten bei der Bundeswehr, zehn davon im aktiven Dienst. Sie wurden jedoch in andere Einheiten versetzt und sind nicht mehr mit der Ausbildung betraut.