„Die Tagespolitik ist weiter als unser Grundsatzprogramm“

NRW-Integrationsminister Laschet findet, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das sieht die Spitze seiner CDU anders.

Herr Minister, Sie finden, auf dem Gebiet der Integrationspolitik sei den Verfassern des neuen CDU-Grundsatzprogrammes kein großer Wurf gelungen. Waren Sie denn nicht eingebunden?

Armin Laschet: Nein, es gab eine Grundsatzkommission, und die hat das Programm vorbereitet. Insofern konnte ich die Ergebnisse unbefangen bewerten.

Und was gefällt Ihnen nicht?

Laschet: Normalerweise sollten Grundsatzprogramme einen Schritt weiter gehen als die aktuelle Politik. Hier ist es nun umgekehrt: Die Tagespolitik der Bundeskanzlerin, aber auch das, was wir in Nordrhein-Westfalen machen, ist schon weiter.

Im Entwurf heißt es, Deutschland sei ein "Integrationsland". Warum steht da nicht "Einwanderungland"? Das wäre ehrlicher.

Laschet: Wir sind de facto ein Einwanderungsland. Die Kanzlerin veranstaltet jetzt einen Integrationsgipfel, weil das zu lange ignoriert wurde. Natürlich sind wir auch ein Integrationsland. Wen soll man denn integrieren, wenn nicht Menschen, die zuvor eingewandert sind?

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach befürchtet, der Begriff "Einwanderungsland" könne aussagen, dass Deutschland noch mehr Einwanderung braucht.

Laschet: Aber genau darum geht es doch: Die Bundesregierung will die Zuwanderungsregeln für bestimmte Gruppen lockern. Wir haben ja kaum noch Zuwanderung. Wir brauchen aber qualifizierte Zuwanderer. Danach verlangt nicht zuletzt die Wirtschaft.

Brauchen wir wegen der Überalterung der Gesellschaft nicht sogar deutlich mehr Zuwanderer?

Laschet: Man kann die Probleme des demografischen Wandels nicht durch Zuwanderung lösen. Man muss die Menschen, die schon im Land leben, optimal fördern, bilden, und die Wirtschaft muss mehr für ihre Ausbildung tun. Aber dennoch werden wir darüber hinaus Zuwanderer brauchen, nicht nur hochqualifizierte, sondern auch im Bereich der Pflege.

Es geht um Jobs, für die sich Deutsche zu schade sind?

Laschet: Nein, aber wir können den Bedarf an Arbeitskräften nicht mit Einheimischen allein decken. In vielen deutschen Haushalten gibt es heute private Kräfte aus dem Ausland, die häusliche Pflege übernehmen. Dafür gibt es ein rotierendes System über Touristen-Visa und sehr häufig Schwarzarbeit. Dies ist auf Dauer nicht akzeptabel.

Sie wollen, dass sich die CDU in der Integrationspolitik noch weiter bewegt. In der Familienpolitik hat es schon eine heftige Wende gegeben. Haben Sie nicht Sorge, dass Sie konservative Mitglieder überfordern?

Laschet: Ich glaube nicht. Viele erkennen die Notwendigkeit, dass wir uns wandeln müssen. Wenn wir zum Beispiel die niedrigste Geburtenrate in der EU haben, läuft etwas falsch.

Die CDU hat sich vom Begriff des "Gastarbeiters" verabschiedet. Bei Ihnen sollen Menschen nun keinen "Migrationshintergrund" mehr haben, sondern eine "Zuwanderungsgeschichte". Ziemlich viel Semantik, nicht wahr?!

Laschet: Da ist viel Semantik dabei. Aber Sprache prägt ja auch das Bewusstsein. "Migrationshintergrund" klingt für mich wie eine Defizitbeschreibung. Außerdem sprechen wir meist nicht über Migranten, sondern über Kinder, die hier geboren sind. Deren Eltern oder Großeltern sind eingewandert.

Bewusstseinsprägend ist auch der Begriff "Leitkultur", der in den Entwurf zum Grundsatzprogramm eingeflossen ist. Sie wollen diesen nun verwässern und lieber von "gemeinsamer Leitkultur" sprechen.

Laschet: Nein, ich will den nicht verwässern. Wir brauchen eine Leitkultur, zu der sich alle bekennen, die in unserem Land leben. Das ist nicht nur der nüchterne Verfassungstext. Da muss mehr dazu kommen: Unsere Sprache, die Verantwortung für den Holocaust etwa. Das steht nicht alles im Grundgesetz.

Und wer bestimmt, was diese Leitkultur ausmacht?

Laschet: In jedem Fall dient es der Gesellschaft nicht, wenn drei Viertel der Menschen dem anderen Viertel vorschreiben, wie es zu leben hat. Das Viertel, das zugwandert ist, hat auch Werte einzubringen, die wir verloren haben. Dazu gehört für mich der Generationen-Zusammenhalt.

Die Kanzlerin sagt, es sei "an der Zeit, dass die CDU mal einen türkischen Bundestagsabgeordneten hat". Halten Sie das für ein glückliches Zitat?

Laschet: Wieso nicht?

Klingt nach dem Vorzeige-Türken für die Fraktion.

Laschet: So hat sie das nicht gemeint. Die große Gruppe der Türkischstämmigen in Deutschland sollte sich in allen Parteien und Fraktionen wiederfinden.