Eine juristische Lehrstunde

Regierung und Opposition mussten sich vor dem Verfassungsgericht in NRW viele kritische Fragen gefallen lassen.

Münster. Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten, eine juristische Lehrstunde 120 — jedenfalls war dies am Dienstag so im Saal 1 des Landesverfassungsgerichts in Münster. Mit seltener Intensität und großer Präzision wurde dort über die Klage von CDU und FDP gegen den Nachtragshaushalt 2010 der rot-grünen Minderheitsregierung verhandelt. Dabei setzte Gerichtspräsident Michael Bertrams die Vertreter der Landesregierung immer wieder unter Druck.

Bis auf den letzten Platz besetzt war der Saal, mehrere dutzend Medienvertreter, zahlreiche Landtagsabgeordnete vor allem von der CDU, Juristen, Gutachter und auch der ein oder andere neugierige Bürger wollten sich den juristischen Schlagabtausch nicht entgehen lassen. Sie kamen auf ihre Kosten. Höflich, aber sehr bestimmt und bestens präpariert führte Bertrams durch den Vormittag.

Gutachter beider Seiten machten noch einmal die Positionen klar. Christoph Gröpl erläuterte für die Kläger, also CDU und FDP, warum der Nachtragsetat mit seiner geplanten Verschuldung von 8,4 Milliarden Euro verfassungswidrig sei: Weil er die Verfassungsgrenze, die durch die Höhe der Investitionen bei 3,9 Milliarden Euro markiert ist, bei weitem übersteige. Weil die Begründung, das wirtschaftliche Gleichgewicht sei gestört, angesichts des aktuellen Booms falsch sei. Und weil die gebildeten Rücklagen und Sondervermögen etwa für die WestLB unrechtmäßig durch Kredite finanziert seien.

Alles nicht zutreffend, hielt vor allem Johannes Hellermann als Prozessbevollmächtigter der Landesregierung dagegen. Der Einbruch durch die Krise sei noch nicht überwunden, die WestLB brauche dringend Hilfe — und das liege im politischen Ermessen der Landesregierung.

Bertrams wollte wissen, ob die Landesregierung denn die zahlreichen Expertisen im Herbst zur tadellos laufenden Konjunktur überhaupt zur Kenntnis genommen habe, bevor sie dann die Neuverschuldung mit dem Hinweis auf eine Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts beschloss.

„Zuerst ein Prozent Wachstum, dann ein Einbruch von minus 4,7 Prozent und nun ein Plus von 3,5 Prozent: Das ist kein Gleichgewicht“, sagte Landesfinanzminister Norbert Walter-Borjans. Die Frage, wo denn dann überhaupt eine Grenze für neue Schulden sei, beantwortete Hellermann: „Die steht jedenfalls nicht in der Verfassung.“

Punkten konnte Walter-Borjans beim Thema WestLB. Der Gerichtstermin war für ihn nur ein Intermezzo zwischen den entscheidenden Verhandlungsrunden zur Zukunft der Bank. „Wir brauchen das Sondervermögen, die Risiken sind sehr groß“, betonte er. Doch auch hier setzte Bertrams nach: Müsse denn das im Vorgriff auf Risiken mit neuen Krediten geschehen, deren Zinsen schon jetzt fällig werden?

Es war also ein Schlagabtausch auf hohem Niveau, bei der auch die Opposition vom Gericht nicht geschont wurde. Da auch schon Schwarz-Gelb 1,1 Milliarden Euro in das WestLB-Sondervermögen gesteckt hatte, obwohl schon damals die Verschuldung immens hoch war, wollte Richter Joachim Wieland wissen, ob man denn zwischen guten und schlechten Rücklagen unterscheiden könne.

Das Urteil gibt es am 15. März. Alle Beteiligten gaben sich vorsichtig optimistisch. „Hoffnung auf ein Signal gegen hemmungslose Verschuldung“ empfand FDP-Fraktionschef Gerhard Papke, während Walter-Borjans eine „ergebnisoffene Diskussion“ sah.