Jürgen Rüttgers setzt für NRW ganz auf die soziale Karte

NRW-CDU: Der Ministerpräsident bekommt für seinen Kurs Rückendeckung. Johannes Rau erwähnt er so häufig wie Angela Merkel.

Essen. So hat man Jürgen Rüttgers selten erlebt: Als sein sehr gutes Ergebnis zur Wiederwahl zum CDU-Landeschef bekannt gegeben wird, ballt der sonst so beherrschte Polit-Profi die Fäuste, jubelt wie einst der junge Boris Becker, ruft "toll, toll" und sprintet auf die Bühne, um sich feiern zu lassen.

Die 94,4 Prozent Zustimmung der Delegierten auf dem Landesparteitag in Essen sind für ihn deutliche Rückendeckung für die anstehenden Wahlen. Und in die führt Rüttgers seine Partei mit einem fast sozialdemokratisch zu nennenden Politikansatz.

"Im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik steht künftig nicht das Mantra von Privatisierung, Deregulierung und Flexibilisierung", sagte Rüttgers und beerdigte damit so ganz nebenbei das Motto "Privat vor Staat", mit dem er zusammen mit seinem Koalitionspartner FDP vor vier Jahren angetreten war. Jetzt heißen Rüttgers’ Parolen: Fairness, Vertrauen und vor allem die Soziale Marktwirtschaft.

Der unumstrittene Chef der NRW-CDU unterstrich auch und gerade mit Blick auf die Bundespartei seinen Anspruch, den linken Flügel anzuführen und Taktgeber in der Sozialpolitik zu sein. "Wir wollen das Schonvermögen für Arbeitslose erhöhen. Und wir wollen, dass der schreckliche Begriff der Hartz-IV-Bezieher verschwindet", sagte Rüttgers.

Der Parteitag gab ihm Rückendeckung für seinen Leitantrag "Soziale Marktwirtschaft". Die dort festgeschriebenen Forderungen sollen Eingang ins Wahlprogramm der Bundes-CDU finden. Das Verhältnis zwischen Rüttgers und Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt kompliziert. "Wir kämpfen für Angela Merkel", sagte er zwar. Aber er sagte auch: "Wir kämpfen auch für unsere richtige Politik." Und er gab in der gerade laufenden unionsinternen Debatte über Steuersenkungen einen klaren Fingerzeig: "Wenn wir Steuern senken, müssen wir auch sagen, wie wir das bezahlen." Das war deutlich gegen Blütenträume bei der CSU und auch beim CDU-Wirtschaftsflügel gerichtet, die mit Steuersenkungsversprechen in die Bundestagswahl gehen wollen.

Den stärksten Applaus bekam Rüttgers für seine kämpferische Passage gegen die Linkspartei, die er "Chaoten und Radikale" nannte. "Die Sozialisten haben schon einmal einen deutschen Staat ruiniert. Das darf sich nicht wiederholen", sagte er unter starkem Beifall der Delegierten. Und die SPD forderte er zum wiederholten Male auf, sich klar von der Linkspartei zu distanzieren. "Die neue SPD von Müntefering und Frau Kraft ist nur noch prinzipienlos", attackierte er die Führungsspitze der Genossen in Bund und Land.

Rüttgers sieht seine Mehrheiten also in der linken Mitte - wie einst Johannes Rau, den er in seiner Rede genauso häufig erwähnte wie Angela Merkel. Was er mit keinem Wort ansprach, beschäftigte aber nahezu jedes Gespräch der Delegierten auf den Fluren: die Krise der Kölner CDU. Die hat immer noch keinen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl benannt. Aber angeblich hat sie jemanden gefunden. Was auch langsam an der Zeit ist.