Nach dem Fall Lügde Mehr Technik, mehr Personal: So kämpfen NRW-Ermittler gegen Kinderpornos

Düsseldorf · Ihre Arbeit ist schwer und zu viel – jetzt sollen die Spezialisten Unterstützung bekommen. Auch von Technik, die es längst gibt.

Eine Polizeibeamtin der Spurensicherung trägt einen sichergestellten Monitor aus der abgesperrten Parzelle des mutmaßlichen Täters auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde.

Foto: dpa/Guido Kirchner

. Es sind viele eindrückliche Zahlen, die das Innenministerium an diesem Dienstag offen legt. Knapp 2000 Verfahren wegen Kinderpornografie laufen in NRW – fast eine Verdopplung gegenüber 2016, als noch 1025 Taten gezählt wurden. 3000 Terabyte beschlagnahmte Daten, die von wohl nicht einmal 100 Spezialisten in den Kreispolizeibehörden ausgewertet werden müssten.  Viel eindrücklicher allerdings ist, wie Kriminaldirektor Ingo Wünsch von der neuen Stabsstelle zur Bekämpfung von Kinderpornografie im NRW-Innenministerium schildert, was diese Ermittler da tun. Wie sie immer wieder eine Tonspur mit dem Schreien eines Kindes anhörten, um den im Hintergrund laufenden Radiospot auf versteckte Informationen zu Ort oder Datum des Missbrauchs zu durchkämmen. Wie sie Bilder um die schockierenden Szenen herum nach Hinweisen auf die Herkunft absuchten – die Tapete, die Möbel, eine Tageszeitung, einen Strampler. Ja, unter den Opfern seien „selbst Säuglinge und Kleinkinder“, sagt Wünsch.

Er selbst, gibt Innenminister Herbert Reul (CDU) zu, hatte das Thema Kinderpornografie „überhaupt nicht auf dem Schirm, als ich Minister wurde“. Bis er im vergangenen Jahr die Zentrale Auswertestelle im LKA besucht habe. „Das läuft nach“, erinnert er sich. Danach habe er noch schnell 1,3 Millionen Euro für Auswertetechnik „zusammengekratzt“, eine Landesarbeitsgruppe eingerichtet. „Und dann kam der Fall Lügde.“ Mit ihm eine wachsende gesellschaftliche Sensibilität für das Thema. Schon jetzt, erklärt Wünsche, steigen die Anzeigenzahlen; was gut sei, weil es bedeute, dass mehr Taten vom Dunkel- ins Hellfeld wanderten und den Opfern geholfen werden könne.

Reul: Die aktuelle Knappheit ist ein Vermächtnis der Politik

Das Problem: Die wenigen Spezialisten in den Polizeibehörden – 104 Stellen, davon nicht einmal alle voll – kommen nicht hinterher. „Die Polizei ist vom technologischen Fortschritt überrannt worden“, sagt Reul. Was nicht Fehler der Polizei sei, sondern der Politik. Seit 2010 habe es wiederholt Expertenkommissionen gegeben, die auf Nachholbedarf drängten. Aber: „Es ist null Komma nix passiert“, so der Innenminister. „Die Spezialisten haben geliefert, aber die Politik nicht gehandelt.“

Nun falle es ihm zu, die Polizeibehörden per Erlass anzuweisen, Ermittler aus anderen Bereichen abzuziehen, um sie dem Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie zuzuführen. „Ich kann nur mit dem Personal arbeiten, das mir meine Vorgänger hinterlassen haben“, stellt Reul einmal mehr klar. Das gehe nur durch „kluge Prioritätensetzung“. Womöglich auch durch Mehrarbeit und das Aufschieben von Pensionierungen – bis zum 1. August haben Polizeipräsidenten und Landräte Zeit, lokale Konzepte zu erdenken. Derweil stockt das Ministerium die Angebote in der Fortbildung auf; für die Datenbearbeitung in Kinderporno-Verdachtsfällen, aber auch etwa für die Vernehmung von Kindern.

Das LKA indes erhält noch einmal 20 neue Stellen, 1,5 Millionen Euro werden dafür im laufenden Jahr noch einmal zur Verfügung gestellt. Manpower allein aber kann den Datenberg nicht mehr abtragen. „Wir brauchen künstliche Intelligenz“, sagt der Minister. Die Idee ist, das bis Ende 2020 das LKA zentral für alle Kreispolizeibehörden das Datenmaterial mit Hilfe von Gesichtserkennungssoftware vorsortiert, damit bei den Kripoleuten nur noch die Dateien landen, die wirklich den Blick eines Spezialisten brauchen. Den Vorteil erlebt man laut Thomas Roosen, Abteilungsleiter IT im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD), aktuell bei der Ermittlungskommission „Eichwald“, die den Missbrauchsfall Lügde untersucht und zum ersten Mal mit automatisierter Gesichtserkennung in den Datenasservaten arbeitet: „Die Technologie kann 24 Stunden durcharbeiten.“ Verfügbar, verdeutlicht Reul, sei diese Software auch zuvor schon gewesen: „Aber die Politik muss das Geld geben und sagen: Wir machen das jetzt.“

Supervision für die Spezialisten wird jetzt verpflichtend

Und das durchaus nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Schließlich ist das schmutzige Geschäft ein grenzüberschreitendes. Beim Erfassen, Vergleichen und Priorisieren von Daten, so Wünsch, „haben wir im Bund-Länder-Verbund noch einiges an Hausaufgaben“. Es gebe etwa beim Bundeskriminalamt (BKA) schon eine Datenbank, um neue Spuren mit bereits erfassten abzugleichen und so Doppelarbeit zu verhindern. Diese sei aber kaum gefüllt, erklärt Reul – man habe sich jetzt bei der Innenministerkonferenz (IMK) „in die Hand versprochen“, das künftig zu ändern.

Einstimmig hatte die IMK zudem die Bundesregierung aufgefordert, den Strafrahmen für Missbrauch und Kinderpornografie deutlich anzuheben. Reul sieht aber „noch rechtliches Potenzial“. Etwa im Hinblick auf eine Speicherung von IP-Adressen, wie BKA-Chef Holger Münch sie jüngst forderte. Es sei unstrittig, dass diese schneller zu einem Täter führe, als wenn Kriminalpolizisten im Bild nach versteckten Hinweisen auf dessen Aufenthaltsort suchen müssten.

Schließlich rückt der Erlass des Innenministeriums aber auch die Kinderpornografie-Ermittler selbst in den Mittelpunkt, deren Arbeit laut Wünsch „körperlich und psychisch extrem anstrengend“ sei. Schon heute gebe es Angebote von Seelsorge und Supervision – der neue Erlass des Innenministeriums allerdings macht Supervision nunmehr zur Pflicht.