Westerwelle: „Das ist DDR ohne Mauer“
Mindestlohn im Bundestag: FDP-Chef attackiert Koalition. Nur 19 Gegenstimmen in der Union.
Berlin. Am Ende waren es gerade einmal 19 von 224 Unionsabgeordneten, die gegen den Post-Mindestlohn stimmten. Der ehemalige Fraktionschef Friedrich Merz war noch einmal in den Bundestag gekommen, um seine Ablehnung zu demonstrieren. Auch die Mittelstandspolitiker Michael Fuchs und Hans Michelbach votierten mit Nein. Geredet hat aber keiner von ihnen. Ebenso wenig wie die anderen erklärten Mindestlohn-Gegner innerhalb der Union. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) erschien erst gar nicht zur Abstimmung. Es blieb beim Murren hinter vorgehaltener Hand.
Also kam Guido Westerwelle die Rolle zu, den Kurs der Großen Koalition im Allgemeinen und der Union im Besonderen zu geißeln. "Dass Sie von der Union das mitmachen, ist enttäuschend und empörend", schimpfte der FDP-Chef. Westerwelle bezweifelte, dass es der Regierung wirklich darum gehe, etwas für die Arbeitnehmer zu tun. "Ihnen geht es darum, einen Staatsmonopolisten namens Post zu schützen", sagte der Liberale. Es habe nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, wenn der Staat Löhne festlege, Wettbewerb behindere und der bundeseigenen Post auch noch Privilegien bei der Mehrwertsteuer gewähre. Damit befinde sich das Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem Weg in die Planwirtschaft. "Das ist DDR ohne Mauer", sagte Westerwelle.
Erstaunliche Allianzen bildeten sich im Bundestag. Linksfraktionschef Oskar Lafontaine verteidigte Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD), die grüne Arbeitmarktpolitikerin Brigitte Pothmer stimmte ausdrücklich Lafontaine zu. Der CDU-Redner Ralf Brauksiepe holte sich Anleihen bei der Partei-Ikone Ludwig Erhard und propagierte "Wohlstand für alle". Schließlich votierte ein schwarz-rot-rot-grünes Bündnis für den Post-Mindestlohn.
Die SPD schickte ihr neues arbeitsmarktpolitisches Spitzenduo ins Rennen. Zunächst war es Arbeitsminister Olaf Scholz, der mit der dezenten Sprache eines Regierungsmitglieds für eine Ausweitung des Mindestlohns auf weitere Branchen warb. Es sei eine Mär, dass der Mindestlohn für Briefdienstleister Jobs vernichte, hatte Scholz schon vor der Bundestagssitzung gesagt.
Vize-Parteichefin Andrea Nahles assistierte: "Jetzt ist nicht Schluss", kündigte sie an. Es gebe "weitere Branchen, die einen Mindestlohn brauchen". Namentlich erwähnte die SPD-Vizechefin Wach- und Sicherheitsdienste, das Entsorgungsgewerbe sowie die Zeitarbeitsbranche. Einen solchen Domino-Effekt will die Union unbedingt vermeiden. Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Laurenz Meyer mühte sich, die Post als Ausnahmefall darzustellen.
Nahles aber frohlockt, wenn sie an Erreichtes und Zukünftiges denkt. Nun sei klar, dass den Beschäftigten, die bei Wind und Wetter Briefe austragen, ein "anständiger Lohn" gezahlt werde. Von Januar an sollen es zwischen acht und 9,80 Euro sein - und damit, wie Guido Westerwelle sagt, "der höchste Mindestlohn in der ganzen Welt".