Entlassung: Marco kann Weihnachten doch noch zu Hause feiern

Nach acht Monaten U-Haft darf der 17-Jährige das Gefängnis verlassen. Schon am Samstag wird er in Uelzen erwartet.

Antalya. Marco ist frei: Nach 247 Tagen in türkischer Untersuchungshaft darf der 17Jahre alte Schüler aus dem niedersächsischen Uelzen die erste Nacht in Freiheit verbringen. Der Junge kann sogar nach Hause fliegen und das Weihnachtsfest mit seiner Familie feiern. Das Gericht in Antalya entließ ihn gestern ohne Auflagen aus der Haft. Der Prozess gegen Marco wegen sexuellen Missbrauchs der 13-jährigen Britin Charlotte soll erst am 1. April kommenden Jahres fortgesetzt werden.

"Wir sind glücklich", sagte Marcos Vater unter Tränen beim Verlassen des Gerichtssaals in Antalya. Die Mutter des 17-Jährigen war nicht zum achten Verhandlungstag in die Türkei gereist, weil sie Überstunden für den Fall sparen wollte, dass Marco Weihnachten in Haft feiern muss. Den ganzen Tag hatte in ihrem Garten eine Fackel gebrannt. Wann sie ihren Sohn in die Arme schließen darf, ist noch nicht klar. Marco und sein Vater wollten aber nach der offiziellen Entlassung am Abend das nächste Flugzeug nehmen und möglichst heute Vormittag zurückkehren.

"Ich freue mich, dass Marco erst einmal frei ist und nach Hause kann", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte die Hoffnung, dass der Schüler mit seiner Familie die Strapazen der Gefangenschaft zurückdrängen kann. "Die Haftverschonung war überfällig, denn die Dauer der Untersuchungshaft ist unverhältnismäßig", sagte der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Die nächsten Monate müssten genutzt werden, um zu entscheiden, ob der Prozess in Deutschland fortgeführt werden könne.

Das Gericht habe seine Entscheidung damit begründet, dass es noch Informationen benötige und daher eine Fortdauer der Untersuchungshaft nicht angemessen sei, sagten Marcos Anwälte. Charlottes Anwalt kündigte an, gegen die Freilassung Rechtsmittel einzulegen.

Keine Auslieferung Der 17-jährige Marco ist zwar aus Sicht der türkischen Justiz zur Teilnahme am Prozess in Antalya verpflichtet - durchsetzen können die Behörden das aber nicht. Als deutscher Staatsbürger kann er nicht an die Türkei ausgeliefert werden. Er könnte dort aber in Abwesenheit verurteilt werden, falls das türkische Recht dies zulässt. Theoretisch ist es möglich, dass gegen Marco auch in Deutschland ein Prozess geführt wird. Marcos Untersuchungshaft müsste dann in Deutschland angerechnet werden.

Ende gut, alles gut, könnte man im Fall Marco sagen - sollte man aber nicht. Ein Urlaub in der Türkei wurde für eine Familie aus Deutschland zum Horrortrip. Dass dieser nun endet, hat weniger damit zu tun, dass das Gericht in Antalya Gnade vor Recht hat walten lassen. Vielmehr haben die Richter schreiendes Unrecht gestoppt, bevor es ihrem Land noch größeren Schaden zufügte. Darum wird über den Fall auch noch zu sprechen sein: morgen, übermorgen und eine Weile danach.

Was ist passiert? Zunächst einmal war die rechtliche Aufarbeitung einer möglichen Straftat völlig korrekt. Die deutsche Justiz hätte einen jungen Türken, der plötzlich unter Verdacht steht, ein noch viel jüngeres Mädchen vergewaltigt zu haben, ebenfalls eingesperrt und vor Gericht gestellt. Die anfängliche Empörung deutscher Politiker über eine angeblich willkürliche türkische Justiz war darum unangebracht. Sie hat stattdessen dafür gesorgt, dass ein längst gezähmtes Biest wild und wütend wurde: Erst jetzt meinten stolze türkische Staatsanwälte und Richter, ihre Unabhängigkeit mal so richtig demonstrieren zu müssen - auch wenn sie de facto dadurch genau das Gegenteil erreichten.

Denn Unabhängigkeit hätten sie bewiesen, wenn sie sich nicht aus dem deutschen Ausland heraus hätten provozieren lassen. Unabhängigkeit hätten sie bewiesen, wenn sie die schleppende Beweisaufnahme beschleunigt hätten. Indem sie es zuließen, dass aus ihrem Fall ein Politikum wurde, machten sie sich schuldig: Sie ließen einen 17-Jährigen so lange in Untersuchungshaft, bis diese zu einer Strafe ohne Verurteilung wurde. Und genau das wäre in einem Rechtsstaat wie Deutschland nicht passiert. Genau deshalb hat sich die Türkei auf dem Weg nach Europa disqualifiziert. Man darf gespannt sein, ob Bundeskanzlerin Merkel das genauso deutlich "im Schaufenster" sagen wird wie gegenüber Russland und China.

Auch für Marco ist die Sache noch nicht vorbei. Jenseits der Frage, ob nun auch deutsche Staatsanwälte gegen ihn ermitteln, wird er wohl schon bald den nächsten Horrortrip antreten: Die Kerners, Beckmanns und Jauchs dieser Welt werden in Kooperation mit der "Bild"-Zeitung an ihm zerren, bis aus dem jungen Mann der letzte Rest an Unbeschwertheit gewichen ist.