Älteste Tram der Niederlande Mit der Linie 1: Geschichtsstunde in der Straßenbahn
Den Haag · Vom Nordseestrand durch die Regierungsstadt Den Haag in die Vermeer-Stadt Delft: Wem dieser Plan gefällt, kann auf Schienen reisen und eines der ältesten öffentlichen Verkehrsmittel des Landes nehmen.
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Mit der Linie 1: Geschichtsstunde in der Straßenbahn
An diese Szene kann sich Remco Dörr noch gut erinnern. „Als wir Kinder waren, fuhren wir mit der Straßenbahn Nummer 1 hinaus nach Scheveningen zum Nordseestrand. Bei der Rückfahrt am Nachmittag war der Boden der Bahn immer voller Sand“, sagt der 62-jährige Stadtführer.
Die Nummer 1 ist nicht irgendeine Tram: Seit 1864 verkehrt sie und ist damit die älteste Linie der Niederlande. Anfangs wurden die Waggons von Pferden gezogen, später unter Dampf gesetzt, und seit mehr als 100 Jahren nun schon verkehrt die Linie 1 als elektrische Tram. Mit einer Streckenlänge von 20 Kilometern zählt sie zu den längsten Tramlinien im Nachbarland.
„Das alles wäre noch nichts Besonderes“, findet Dörr. Denn für den Stadtkenner ist eine Fahrt mit der Linie 1 vor allem eine Zeitreise, die viele Anekdoten wachruft. Und sie eignet sich als Sighseeing-Shuttle, denn viele Haager Highlights liegen direkt an ihren Schienen.
Los geht's an der Station Zwarte Pad, wo die Luft nach Nordsee riecht und der Wind kräftig bläst. Schon an der dritten Station bittet Dörr wieder zum Aussteigen: „Wir besuchen das alte Scheveningen.“
Schmal sind die Gassen in der idyllischen Ankerstraat. Hier haben es sich die Bewohner mit Blumenkübeln und Ruhebänken eingerichtet. Ein beschauliches Bild wie aus Zeiten, als Scheveningen - heute einer der Stadtbezirke den Haags - das Dorf der Fischer war. Ab 1884 wurde das Kurhaus errichtet.
Heute knubbeln sich Hunderttausende im Juli und August in Scheveningen, dem größten Seebad der Niederlande. Über elf Kilometer breitet sich der Strand vor den himmelstürmenden Apartmentblocks und Hotels aus, ab den 1970er-Jahren hingeklotzt. Hölzerne Buden und Stahlcontainer säumen die Promenade: Beachclubs, ein Riesenrad auf der Seebrücke, das sich bis in die Nacht dreht. Von einem Kran wagen Mutige den Bungee-Sprung in die Tiefe.
Nächste Station: Friedenspalast
Grün sind die nächsten Kilometer am Schienenstrang, die Tram durchquert das Statenkwartier mit noblen Villen aus dem 19. Jahrhundert. Den Haag lebt international. 120 Botschaften und mehr als 150 Behörden wie etwa Europol, Eurojust, der internationale Strafgerichtshof und die Organisation für das Verbot chemischer Waffen sind in Den Haag.
Haltestelle Vredespaleis, der Friedenspalast. „Wir feiern Jubiläum: Vor 125 Jahren fand die erste Haager Friedenskonferenz statt, die zur Errichtung des Ständigen Schiedshofes und des Friedenspalastes führte“, sagt Claudia Jansen. Gelegentlich führt die 40-Jährige Besucher durch das ehrwürdige Backsteingebäude, ab 1907 errichtet und finanziert in weiten Teilen von der Stiftung des steinreichen US-Unternehmers Andrew Carnegie.
Seit 1946 ist der Friedenspalast auch Sitz des Internationalen Gerichtshofes (ICJ) der Vereinten Nationen (UN) mit der Aufgabe auf Basis des Völkerrechts Streitfälle ausschließlich zwischen Ländern zu regeln und beizulegen. 15 Richterinnen und Richter entscheiden, die Verfahren können Jahre dauern.
Stopp am Arbeitsplatz des Königs
Stopp im Zentrum, und hinüber zur Boutiquenmeile Noordeinde, wo König Willem-Alexander im weißen Palais seinen Arbeitsplatz hat. „Die Fahne weht, also ist der König da“, stellt Stadtführer Dörr fest. Einige Schritte weiter geht es zum alleenartigen Boulevard Lange Voorhout, eine der schönsten Haager Straßen.
Dort ließen im 17. und 18. Jahrhundert Höflinge und Lobbyisten prunkvolle Stadtvillen errichten, schließlich war Den Haag schon seit dem 13. Jahrhundert Sitz der Grafen von Holland und ab 1593 Residenz der niederländischen Generalstaaten. An Lange Voorhout flanierte man sommertags unter schattenspendenden Bäumen.
Alle Wege in Den Haag sind kurz. Und so steht eine Stippvisite beim „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ im Museum Mauritshuis auf dem Programm, von der Tram-Haltestelle nur einige Straßenecken entfernt. Vor Jan Vermeers berühmtem Bild von 1665 drängeln sich die Besucher, aber auch andere Meisterwerke niederländischer Maler aus dem 17. Jahrhundert sind in dem Adelspalais zu sehen: Gemälde von Frans Hals, Paulus Potter, Rembrandt, Rubens, von Jan Brueghel dem Älteren und Hans Holbein dem Jüngeren.
Ein schlankes Türmchen ragt nebenan hervor - Amtssitz des Ministerpräsidenten. Ebenso ein Teil des Binnenhofes, dessen erste Bauten aus dem 13. Jahrhundert stammen. Sie sind damit die ältesten Parlamentsgebäude der Welt, die heute noch genutzt werden. Da kann die umfassende Erneuerung schon mal notwendig sein. Seit zwei Jahren und noch bis Ende 2028 wird renoviert.
Weiter rollt die Tram 1, Richtung Delft zur Haltestelle Prinsenhof. Im Prinsenhof wurde Wilhelm von Oranien 1584 ermordet von einem Anhänger des spanischen Königs. Das Familiengrab der Niederländer lag jedoch in Breda, in der Hand der Spanier. So wurde Wilhelm in Delft in der Nieuwe Kerk (Neue Kirche) begraben, seitdem Grabeskirche des niederländischen Königshauses. Über 40 Angehörige der Dynastie Oranien-Nassau wurden in der Gruft beigesetzt.
Mit schmalen Gassen, den stillen Grachten und Patrizierhäusern des 17. Jahrhunderts, dem Goldenen Zeitalter, lädt das beschauliche Delft zum Flanieren ein. Und hier könnte man die Zeitreise kunsthistorisch fortführen, und es schließt sich ein Kreis.
Denn in Delft schuf Vermeer „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ und die „Ansicht von Delft“, seiner Geburtsstadt, der er sein ganzes Leben treu blieb. Das war lange, bevor die Straßenbahn erfunden wurde und eine Linie 1 hier Station machte.
Links, Tipps, Praktisches:
Reiseziel: Den Haag, Regierungssitz der Niederlande, liegt in der Provinz Südholland und ist mit rund 566.000 Einwohnern nach Amsterdam und Rotterdam die drittgrößte Stadt des Landes. Den Haag strahlt mit dem Paleis Noordeinde - Dienstsitz des Königs-, Binnenhof, Parks und Villen eine elegante Atmosphäre aus. Bedeutende Museen sind das Mauritshuis und das Kunstmuseum.
Anreise: Mit der Bahn über Utrecht nach Den Haag CS ( bahn.de bzw. nsinternational.com). Mit dem Auto bis Den Haag ist man ab Berlin zum Beispiel etwa 7,5 und ab Frankfurt am Main 5,5 Stunden unterwegs. Nächster Flughafen ist Amsterdam-Schiphol.
Unterkünfte: Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen und Reisemobilstellplätze sind in der Region zahlreich vorhanden. Für die Übernachtung im Hotel (Doppelzimmer) muss man zwischen 90 und 300 Euro einplanen.
Die Straßenbahnlinie 1: Endhaltestellen sind in Scheveningen und Delft, insgesamt hält die Tram 1 an 37 Stationen, wofür sie etwa ein Stunde braucht. Tagsüber fährt sie im Zehn-Minuten-Takt. Für Touristen empfiehlt sich das Ein- oder Drei-Tagesticket (8 oder 20 Euro); es gilt für Straßenbahnen und Busse. Parkplätze sind rar und teuer.
Friedenspalast: Für die Führung durch das Gebäude - Sitz von Internationalem Gerichtshof und Ständigem Schiedshof - ist die Anmeldung über die Website erforderlich. Führungen durch den Park gibt es jeweils donnerstags.
Weitere Auskünfte: Tourismusbüro The Hague ( denhaag.com)
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