Chengdu: Pandas, Parks und Bambus

Die Stadt im Süden Chinas ist eine lebenslustige Metropole, die durch den Charme ihrer Parks und Menschen besticht.

Chengdu. Unter den gewaltigen Millionenstädten, in die wir auf unserer Reise durch China gelangten, sticht Chengdu, Metropole in Südwestchina, hervor. Obwohl es alle Probleme chinesischer Großstädte wie Umweltverschmutzung, zunehmende Verkehrsdichte, Staus oder Zerstörung alter Bausubstanz mit dem Ziel rascher Modernisierung gibt, genießen seine Einwohner den Ruf, Müßiggänger zu sein.

Wer an Chengdu denkt, assoziiert damit Gelassenheit, Ruhe und südeuropäisches Flair, und dies mit einiger Berechtigung. Gerne bekennen sich die Einwohner zum dolce far niente.

Parks und Teehäuser spielen dabei für sie eine zentrale Rolle. Sie bilden Herz und Lunge dieser Metropole. Trotz der großen Menschenmenge, die diese Parks bevölkert, herrscht in ihnen ein besonderer Geist von Gelassenheit. Hier spielen die Menschen Go oder Schach, Mah jong oder Karten.

Wer nicht spielt, der diskutiert oder tanzt im Freien, musiziert, treibt Sport oder bummelt mit den Kindern von Attraktion zu Attraktion. Ein Zuckerbäcker hat einen Stand aufgebaut. Durch eine feine Pipette rinnt flüssiger Zucker auf eine Unterlage. Auf ihr erstarrt er zu Fantasiegestalten.

Ein kleiner Junge kann seinen Blick nicht von den filigranen Figuren aus Zuckerguss lösen; er quengelt so lange, bis seine Mutter ihm so ein kleines Kunstwerk kauft. Stolz hält er es in die Höhe.

Hinter einer Wegbiegung laden Korbstühle in einen Teepavillon zu einer Pause ein. Zum Tee wird eine große Thermoskanne mit heißem Wasser an den Fuß des Tisches gestellt, damit man bei Bedarf nachfüllen kann. Der Blick geht auf einen Teich hinaus, über den die Menschen in kleinen Booten schaukeln.

Unterdes nähert sich ein Mann. In den Händen hält er lange, spitze Instrumente, am oberen Ende teils mit Wattebäuschen umwickelt. Er fragt, ob er uns die Ohren putzen darf. Unser chinesischer Begleiter rät ab. Er jedenfalls lasse niemanden an seine Ohren und schon gar nicht mit so spitzen Instrumenten. Wir folgen seinem Rat und verzichten auf die heikle Putzerei.

Kaum ist der mobile Ohrenspezialist weg, kommt ein anderer und schlägt eine Nackenmassage vor. Als er merkt, dass kein Geschäft zu machen ist, zieht er weiter.

Ein besonders schöner Park trägt den Namen "Park des Flussblickturms". Bambus wird hier mit besonderer Hingabe kultiviert in Erinnerung an die Dichterin Xue Tao, die Bambus so sehr liebte. Es soll hier über 150 Bambusarten geben.

Bei Tagesanbruch strömen ältere Herren und Damen, viele in dünnen Baumwollanzügen, ähnlich unseren Schlafanzügen, hierher. Auf einer Freifläche, von filigranem Bambus gesäumt, sehen wir sie wenig später Tai Chi oder Qi Gong üben. Die kunstvoll verlangsamten Bewegungen ergeben ein harmonisches Bild mit den schlanken und sanft geneigten Stämmen des Bambus.

An anderer Stelle läuft das Kontrastprogramm: Frühgymnastik zu Technoklängen. Beim Verlassen des Parks sagt unser chinesischer Begleiter mit einem Bedauern in der Stimme, dass nur noch diese Generation von Rentnern einen so unbeschwerten Lebensabend genießen könne. Den nachfolgenden Generationen werde die staatlich garantierte Absicherung fehlen.

Chengdu hat sich trotz aller Modernisierung und Zerstörung der alten Wohnviertel, trotz U-Bahnbaus, trotz steter Staus und zunehmenden Autoverkehrs ein wenig vom alten chinesischen Erscheinungsbild erhalten.

In den Seitenstraßen verstecken sich noch Märkte mit allen möglichen Angeboten und locken Käufer und natürlich die Neugier westeuropäischer Besucher. Straßenhändler bieten ihre Waren feil. Und unendlich viele Garküchen warten mit Spezialitäten der regionalen Küche auf.

Einen Versuch, das alte China in das neue zu retten, bietet die Straße Qintai Lu. Sie ist in einem Stil gebaut, der dem europäischen Blick das China bietet, das er sich vorstellt. Restaurants mit Riesenlöwenfiguren vor dem Portal, geschwungene Dächer in der Drachenarchitektur, große Ballonleuchten in rot und gold. Ginkgobäume und Hibiskuspflanzen dürfen nicht fehlen.

Abends entfaltet sich im Lichterglanz der zu Girlanden verbundenen Glühbirnen, die Dachkanten und Senkrechten in den Fassaden betonen, ein märchenhafter Glanz. Hier geht man essen und probiert die Sezuan-Küche. Die ist durch ihren scharfen Pfeffer, die Gewürzspezialität dieser Gegend, berühmt.

Es ist ein bisschen Drosselgasse mit seinem nachgemachten historischen Ambiente. Aber es ist das alte China, wenn auch nur als Abglanz. Immerhin, so versichert uns ein Chinakenner, ist es besser, dass es solche historischen Rekonstruktionen gibt als eben nur das neue China, mit bisweilen befremdlich wirkenden, hypermodernen Hochhäusern.

Es hat etwas Symbolisches, dass der Blick in der einen Richtung durch moderne Hochhausfassaden begrenzt wird, sich in der anderen Richtung aber öffnet zu einer Pagode am Eingang eines Parks. Wer will, gelangt über eine Brücke in diese Parkanlage, deren ästhetischer Reiz in einer beeindruckenden Fülle von Bonsai-Bäumen besteht.

Nur zehn Kilometer nördlich von Chengdu und eine knappe Autostunde vom Stadtzentrum entfernt liegt die "Zucht- und Forschungsstation für große Pandabären". Mit nur sechs Pandas im Jahr 1987 zur Rettung dieser vom Aussterben bedrohten Tierart gegründet, leben heute 83 Bären auf dem 600 Hek-tar großen Gebiet, das über einen eigenen Kreißsaal, eine Klinik und ein Museum verfügt.

Man sollte früh kommen und sich zwei bis drei Stunden Zeit lassen. Denn Pandas sind nacht- und dämmerungsaktiv, am Tag schlafen sie meist. Und neben dem Schlafen scheint das Futtern die einzige Beschäftigung der possierlichen Tiere zu sein.

Provozierend lässig, im Bambus eher liegend denn sitzend, schieben sie sich einen Bambussprössling nach dem anderen ins Maul, bis zu 30 Kilo pro Tag, was natürlich den Ruf festigt, der Verzehr von Bambus sei eine so ernste Sache, dass er selbst die Fortpflanzung in Frage stelle. Nicht ganz zu Recht: Seit 1987 kam es hier zu mehr als 150 Geburten.

Das allein kann aber die bedrohte Art nicht retten. Weltweit leben heute in Zoos etwa 180 Pandas. 1600 leben in freier Wildbahn - alle in China. Reichte ihr Lebensraum früher bis nach Birma, hat die Abholzung geschlossener Bambuswälder die Nahrungsquellen und damit den Lebensraum des Pandas immer mehr eingeschränkt.

Heute findet man Pandas nur noch in den subtropischen Gebirgsregionen der chinesischen Provinzen Sezuan, Gansu und Shanxi.

Oder eben in Chengdu.