Reise-Bericht Jetzt lockt der Wein in Wien

Die österreichische Hauptstadt überrascht mit neuen Trends in ihrer Weinszene.

Foto: Herbert Lehmann

Wien. Wien ist die einzige Hauptstadt der Welt, die Wein in nennenswerten Mengen innerhalb der Stadtgrenzen anbaut. Die Wein-Szene an der Donau blüht immer mehr auf. Zwei junge Deutsche spielen dabei eine wichtige Rolle. Der 30-jährige Küchenchef Fabian Günzel, der aus dem Berliner Hotel Adlon nach Wien kam, und Chefsommelier Steve Breitzke, 34, bereits zum dritten Mal Sommelier des Jahres in Österreich. Beide stammen aus der Nähe Erfurts.

Hollywood-Star Tom Cruise feierte mit ihnen in diesem Jahr im spektakulären „La Loft“-Restaurant im 18. Stock des Sofitel Vienna Stephansdom die Weltpremiere seines aktuellen Films „Mission Impossible 5 — Rogue Nation“. Und welchen Wein gönnte sich der amerikanische Filmstar? „Ich weiß gar nicht, ob er zum Kosten gekommen ist“, sagt Sommelier Breitzke lachend: „Er war den ganzen Abend von Fans umringt.“

Weinregion Wien: Wein gehört seit 2500 Jahren zu Wien wie der Stephansdom, die Sängerknaben und Schloss Schönbrunn. Selbst dort, im Park des kaiserlichen Barockschlosses, werden seit kurzem wieder Reben angebaut, just wie zu Zeiten der Habsburger Monarchie. Der Erlös aus dem Verkauf von rund 500 Flaschen pro Jahr geht ausschließlich an SOS-Kinderdörfer.

Mit einer Fläche von 700 Hektar sind die innerstädtischen Anbaugebiete Wiens zwar nicht riesig, aber die einzigen der Welt, die innerhalb der Grenzen einer Metropole liegen. Jährlicher Ertrag: 2,4 Millionen Flaschen Wein. Riesling, Weißburgunder, Grüner Veltliner, aber auch zunehmend Rotweine wie Zweigelt und St. Laurent gehören dazu. Ebenso die rein wienerische Spezialität „Der Gemischte Satz“, lange als Mischmasch-Schankwein nicht besonders angesehen, jetzt aber eine Renaissance erlebend.

Schwammerl mit Speck, Erdäpfel-Vogerlsalat und der neueste „Gemischte Satz“ — der Holztisch beim „Wieninger“ wölbt sich fast unter der Last der Köstlichkeiten. Reben umranken die Sitzecken wie eine Pergola, der Weingarten auf der östlichen Seite der Donau ist an einem sonnigen Herbstsamstag bis auf den letzten Platz belegt — nichts gefällt Wienern wie Besuchern besser, als über Schmankerln beim Heurigen im ländlichen Ambiente zu entspannen.

Fritz Wieninger, Winzer

„Ein typischer Heuriger“, erklärt der Wirt, habe zwei Bedeutungen: „Alles was serviert wird, kommt aus der Region und der Wein vom eigenen Gut“, genauso eben, wie es das Buschenschankrecht von Kaiser Josef II. von 1784 vorsah. Außerdem aber steht der Begriff für Rebsaft des aktuellen Jahrgangs, der alljährlich beim Martinsfest am 11. November getauft wird.

Was es mit dem „Gemischten Satz“ auf sich hat, weiß keiner besser als Fritz Wieninger (49), Weingutbesitzer. „Dafür werden verschiedene Rebsorten bunt durcheinander gepflanzt, geerntet und verarbeitet“, erklärt der Winzer. Aus einem Wiener Garten muss er stammen, mindestens drei Rebsorten enthalten, die stärkste darf nicht mehr als 50 Prozent und die schwächste nicht unter zehn Prozent ausmachen. „Bio ist nicht genug“, lautet das Credo von Fritz Wieninger, der zusammen mit fünf anderen Weinbauern die Winzergruppe „WienWein“ gründete und den traditionellen österreichischen Tropfen gerade zu neuem Ruhm führt. Er produziert jährlich 400 000 Flaschen Spitzenwein für den Export in 40 Länder — alles im Bio-Anbau. Denn gerade wegen der Nähe zur Stadt ist den Wiener Winzern nachhaltige Bewirtschaftung besonders wichtig.

Zwischen gemütliche Traditionen mischen sich immer mehr moderne Töne. Mit Sichtbeton, Glas und Holz schuf Winzer Rainer Christ im Stadtteil Jedlersdorf einen Kellerneubau, der puristische Genüsse mit 400 Jahren Familienbesitz verbindet. In der Herrengasse 6-8 in der Innenstadt servieren „Unger und Klein“ Wein in einem winzigen Art-Deco-Ladenlokal, in dem schon Curd Jürgens ein und aus ging. Gleich nebenan liegt die Zuckerlwerkstatt; in der Bonbonmanufaktur werden in offener Küche vor den Augen neugieriger Kunden per Handarbeit nach Rezepten von 1876 Bonbons produziert. „Gutes Handwerk schmeckt man eben“, sagt der Besitzer Christian Mayer.

Den Sinnen auf die Spur helfen, haben sich auch zwei Wienerinnen auf die Fahne geschrieben, die auf einer „Wiener Sinnestour“ Touristen einheimische Weine, Straßenmärkte und die berühmten Wiener Kaffeehäuser näher bringen — all das wissenschaftlich unterfüttert, denn Elisabeth Buchinger ist Sensorikerin und Dr. Bianca Gusenbauer Köchin. „Genuss braucht Zeit“, sagen die beiden, „auf unseren Touren entdecken wir mit Besuchern die Märkte Wiens.“

Zurück zum Wein. Wenn sich im Herbst die Rebflächen Wiens rot-golden färben, werden die Trauben für den neuen Wein geerntet. Im November kommen die ersten „Jungen Wiener“ in die Weinstuben. Wien bietet aber Wein-Events das ganze Jahr hindurch; im April können Besucher im Rahmen einer Winzertour hinter die Kulissen der Weingüter schauen. Die Autorin reiste mit Unterstützung von Wien Tourismus.