Mitten im Dschungel in Nordhessen
Ein Hauch von Abenteuer bietet der Urwaldsteig rund um Waldeck.
Hessen. Gelb-schwarz gestreift liegt er mitten auf dem Weg und funkelt starr aus schwarzen Knopfaugen. Selbst die nahen Tritte der Wanderer können den Lurch mit seiner auffälligen Hautmusterung nicht aus der Ruhe bringen. Gemächlich verdrückt er sich schließlich unter einen Blätterberg am Wegrand.
An diesem zweiten Wandertag auf dem Urwaldsteig in Hessen ist das schon der dritte Feuersalamander, der die Wanderer erstaunt stehenbleiben lässt. "Feuersalamander brauchen absolut sauberes Wasser, und das finden sie bei uns im Nationalpark - deshalb gibt es hier auch so viele davon", erklärt Ranger Thorsten Daume.
Davon, dass es im Nationalpark Kellerwald-Edersee genügend sauberes Wasser gibt, zeugen rund 400 Quellbereiche. Genau durch dieses Gebiet verläuft etwa die Hälfte des 68 Kilometer langen Urwaldsteigs rund um den 40 Kilometer südwestlich von Kassel gelegenen Edersee. Überall neben dem Weg sprudelt, gurgelt und plätschert es.
Feuchtes Gras glitzert in der Morgensonne, Nebel liegt über den sich durch dichten Wald windenden Pfaden. Der Urwaldsteig ist mit seinen aus teilweise beachtlicher Höhe möglichen Ausblicken auf den Edersee und die imposante Edertalsperre ein Vorzeigeprojekt der regionalen Touristiker. Schließlich wurde der Weg vom Deutschen Wanderverband als "Qualitätsweg Wanderbares Deutschland" zertifiziert.
Die strengen Kriterien, denen ein Wanderweg dafür genügen muss, sind beim Urwaldsteig mehr als erfüllt: Nur kurze Abschnitte auf Asphaltstraßen, herrliche Ausblicke und idyllische Rastplätze gibt es. Ein abwechslungsreiches Höhenprofil, eine fast schon unheimliche Ruhe, verbunden mit einem gut ausgebauten Netz an Wandergasthöfen und einem gastronomischen Angebot bieten dem Wanderer gute Bedingungen für eine mehrtägige Tour. In vier Wandertagen kann der See problemlos umrundet werden. Wer nicht alles zu Fuß zurücklegen möchte, kann mit der stündlich verkehrenden Fähre zwischen Asel und Asel-Süd einen Teil der Strecke abkürzen.
Marianne Latzel wandert häufig hier. "Schauen Sie sich diesen abgestorbenen Baum hier an. Es ist ein Glück, dass wir das Totholz hier so lassen, wie es ist. In dieser Baumleiche leben sicher mehrere hundert Tiere", erklärt die Wanderführerin.
Im Unterschied zu manch anderen Wanderwegen wird auf dem Urwaldsteig rein gar nichts mehr in der Natur verändert: Totholz wird nicht abgetragen, hölzerne Handläufe an Brücken über kleinen Teichen werden nur notdürftig repariert. Selbst umgefallene Bäume bleiben liegen. Maximal eine kleine Trittstufe wird für den Wanderer hineingehauen, um ihm ein besseres Übersteigen des Hindernisses zu ermöglichen.
"Vorsicht, Kopf einziehen!", warnt die Wanderführerin mehrmals - der Weg ist stellenweise buchstäblich zugewuchert und macht seinem Namen alle Ehre. Die Wegemarkierung, derzeit noch teilweise auf Bäumen, soll bald auf Pfosten angebracht werden. "Eine farbige Markierung auf einem Baumstamm ist unnatürlich", erklärt Ranger Daume.
Solche Regeln gelten allerdings meist nur im Nationalpark. Auf dem Urwaldsteig insgesamt sind die Verantwortlichen weniger streng. Gleichwohl sind es gerade die Bäume und vor allem die Buchen, die in diesem Wandergebiet eine wichtige Rolle spielen - schließlich sind nur rund sechs Prozent aller Buchenwälder in Deutschland älter als 160 Jahre. Größere zusammenhängende Flächen sind selten. Im Nationalpark Kellerwald-Edersee gibt es ein 1000 Hektar großes Gebiet mit genau solchen alten Buchen.
Entsprechend urwüchsig präsentiert sich der Wanderweg. Wer sich für eine Tour auf dem Urwaldsteig entscheidet, mutet sich eine Wanderung auf teilweise schmalen, steilen, gewundenen und von Wurzelwerk überwucherten Pfaden zu. Knorrige Wuchsformen der Bäume erinnern an bizarre Fabelwesen und Kobolde. Jahrhundertealte und dunkelgrüne Moose überwuchern graue Felsformationen. Die Bedingungen für Tiere und Pflanzen sind an den teilweise steil abfallenden Hängen extrem. "Über diesem trockenen und felsigen Untergrund kann sich kein Boden bilden, daher wachsen hier fast nur Moose und Flechten", erklärt Wanderführerin Latzel.
Fast lassen die grün wuchernden Gewächse die Wanderer schaudern beim Gedanken an die Flutung der damaligen Ortschaften Asel, Berich und Bringhausen. Doch der Bau der Edertalsperre zwischen 1908 und 1914 ließ keine andere Möglichkeit. Rund 900Menschen verloren damals durch die erzwungene Verlegung der Ortschaften ihre Heimat. Die als Ausflugsziel beliebte Edertalsperre sorgt für die Schiffbarhaltung der Oberweser und dient der Stromgewinnung.
Starten kann man von allen etwa zehn mehr oder weniger direkt am Edersee gelegenen Ortschaften. Als optimaler Ausgangs- und Endpunkt empfiehlt sich der Luftkurort Waldeck am nordöstlichen Zipfel des 27 Kilometer langen Sees.
Vor allem die Etappe von Waldeck nach Hemfurth-Edersee gibt häufig den Blick auf den See sowie die Edertalsperre frei.
Und wer die gesamte Strecke gewandert ist, auf den wartet eine frisch gebackene Waffel mit heißen Kirschen und Sahne auf der Dachterrasse des "Schlossrestaurant Waldeck".