Norwegen: Arktisches Klima im hellsten Sommer
Unterwegs auf der Küstenstraße Nr. 17 im Norden ist der Weg das Ziel.
In dunklen Seen spiegeln sich die wolkenverhangenen Berghänge der Fjordlandschaft. Die grünen Wälder haben Schleier aufgelegt. Der Himmel ist in grelles Grau getaucht. Es ist Sommer in Norwegen, hell den ganzen Tag, manchmal auch ohne einen einzigen Sonnenstrahl. Für echte Mittsommererlebnisse bereist man das längste Land Europas am besten in seinem oberen Drittel, in dem der Polarkreis von Juni bis Juli für einen garantierten Sonnenstand oberhalb des Horizonts sorgt.
Bei der Anreise an die nordnorwegische Küste Helgelands sind es zunächst dichte Wolken über dem Flughafen von Sandnessjøen, die sowohl einen sommerlichen Empfang als auch die Landung verhindern. Mit Bussen entlang des Fjords wird die umgeleitete Flugroute fortgesetzt. Wie in jedem anderen häufig mit Regen überschütteten Land regen auch die Norweger gelassen an, eine Weile zu warten, dann würde sich das Wetter schon ändern.
Wir warten bis zum nächsten Morgen und betrachten die spektakuläre Gebirgslinie der Sieben Schwestern im Rücken des kleinen Sandnessjøens - von einer weißen Wolkendecke bedeckt, als hielten die Berge noch immer Winterschlaf. Mit zunehmendem Abstand von dem Gebirgsrücken mit seinen sieben schlafenden Gipfeln bewegen wir uns per Fährschiff auf die nächsten mystisch verhüllten Landschaften zu. "Wie ein Stück Torte mit Sahnehaube", sagt eine Dame, während sie über ihre Kaffeetasse gebeugt zur Insel Dønna hinüber schaut.
Auf der Nachbarinsel Herøy dagegen gibt es keine Berge, an denen sich Wolken festhalten könnten. "Wir gehen nach oben, wenn wir eine Brücke betreten", witzelt die Ortsführerin über das flache Eiland, das bestens zum Radfahren geeignet ist. Auf 12000größeren Inselchen und kleinen Felsbuckeln könne man in der Region Helgeland per Fahrrad ohne große Anstrengungen reisen.
Als sich die Sonne schließlich blicken lässt, stellen wir hellauf begeistert fest: Unter dem gleißenden Licht der Mittsommersonne entpuppen sich die wenigen Strände der Küste als türkisfarbene Lagunen. Das Wasser erwärmt sich allerdings selten auf mehr als zehn Grad und ist daher nur abgehärteten Schwimmern zu empfehlen. Wer dem Radeln eine bequeme Autofahrt vorzieht und es den meisten der über 750000 deutschen Norwegenurlauber gleichtun möchte, der begibt sich auf den Kystriksveien17 und "erfährt" so Norwegens schönste Küstenstraße.
650 Kilometer schlängelt sich der KV 17 von Steinkjer im Süden bis kurz vor Bodø im Norden. Ausgebaut für touristische Interessen führt der Küstenreichsweg mautlos durch die dramatische Fjordlandschaft und die zerklüftete Inselwelt, vorbei an Welterbestätten, Nationalparks, Kultur- und Outdoor-Angeboten: Freilichtmuseen zeigen das norwegische Leben vor 100 und mehr Jahren, rot gestrichene Bauernhäuser und Handelsstätten finden sich an vielen Stellen zur Besichtigung.
Stockfisch, Hering und Krabben machten die Küstengemeinden reich, bevor das Öl im Atlantik das ganze Land zur Supernation mit dem höchsten Lebensstandard Europas katapultierte. In aller Bescheidenheit berufen sich die Norweger dennoch lieber auf den traditionellen Fischhandel. In den Fjorden wird mittlerweile nicht mehr nur gefischt, sondern auch gezüchtet. Lachse und Forellen vollführen gelegentlich Luftsprünge in den runden Becken, die metertief im Fjord verankert sind.
Auf dem Melfjord schippert Kapitän Albert Hilstad zu einem der markantesten Punkte Norwegens: dem Polarkreis-Globus. Ähnlich dem stählernen Genossen am Nordkap ruht diese kleinere Version am Ufer des Fjords auf einem Granitfelsen kurz vor Rødøy. Er markiert den Höhepunkt auf Alberts Fjordtouren bei 66 Grad Nord und 33 Minuten. Ab hier wird das Klima als arktisch beschrieben, die Sommer sind heller, die Winter dunkler.
Albert ist ein alter Seemann, mit "Miss Sibella" kreuzt er den Fjord im Sommer, während er im Winter auf dem zugefrorenen Wasser Skilanglaufübungen macht. Meist zieht es ihn an den Fuß einer alten Gletscherrinne. Einige hundert Meter weiter oben ruht Svartisen, Norwegens zweitgrößter Gletscher.
Wir schippern weiter zum nächsten Ufer und kehren zurück auf den KV 17. In zwei Autostunden Entfernung wartet schon das nächste Wasserabenteuer: Per motorisiertem Schlauchboot pflügen wir den Fjord um und ertappen eine Schar Papageientaucher bei der Morgentoilette. Die arktischen Vögel mit den maskenartigen Gesichtern gehören zu einer norwegischen Fjordsafari ebenso wie die um einiges größeren und vor allem eleganteren Seeadler, die in Nordnorwegen die größte Population Europas stellen.