Costa Blanca: Tintenfisch ist eine regionale Spezialität in Dénia. Getrocknet und zubereitet werden sie ganz traditionell Pulpos auf der Wäscheleine
Es gibt diese paar Leute, die von Opa ein Haus direkt am Mittelmeer geerbt haben: mit endlosem Horizont beim Blick aus dem Fenster, mit Wind und Wellen als Orchester, mit Salz auf den Lippen, wenn man sich auf die Veranda setzt.
Luis Sendra ist so einer. In seinem Fall gehört ein etwa 40 Quadratmeter großer Betonplatz neben dem Seiteneingang dazu – mit ein paar stramm gespannten Wäscheleinen, die morgens frisch bestückt werden: mit Tintenfischen, mit großen Pulpos, die dort aufgespannt werden, um in der Sonne und im salzigen Seewind zwei, drei Tage lang gerade so viel zu trocknen, dass sie ganz gut konserviert sind, ohne aber ausgedörrt zu sein.
Nur zwei Schritte weiter hängt diesen Morgen gerade jemand frisch gewaschene weiße Tischdecken zum Trocknen daneben. Sendra ist im Begriff, das Haus von Opa, das Geschäft und die Leidenschaft für den Pulpo an die nächste Generation weiterzugeben. 70 Jahre alt ist er jetzt, vor fast 50 Jahren hat er damals noch gemeinsam mit seinem Bruder Miguel das Restaurant im Haus des Großvaters eröffnet – und seitdem trocknet er Pulpos im Wind auf der Freifläche neben dem Seiteneingang.
Längst ist er zu so etwas wie Dénias Pulpo-König an der Costa Blanca geworden. Seine Wäscheleinen sind von der ein paar Treppenstufen höher gelegenen schmalen Straße Carrer Fènix aus zu einem beliebten Foto-Spot geworden, sein Restaurant lockt Tintenfisch- und Meeresfrüchte-Fans an und ist doch durch und durch rustikal und bodenständig geblieben.
Vor dem Haus ist nun Meeresschutzgebiet
Tochter Lorena kellnert, Sohn José kocht und sein Neffe José Luis ist inzwischen der Spezialist fürs Handwerkliche. Er schneidet den Tintenfischen im Freien den Kopf ab, schrubbt den Körper, die Arme, reinigt die Saugnäpfe unter fließendem Meerwasser, das aus dem Gartenschlauch kommt und aus 15 Metern Entfernung herbeigepumpt wird. Früher haben sie den Tintenfisch selbst in Sichtweite vom Haus gefangen, nie war er knapp. Längst ist das nicht mehr erlaubt, die Region dort ist nun Meeresschutzgebiet und tabu für Fischer. Seltene Schildkröten sind dort zu Hause, ab und zu Delfine auf der Durchreise aus der Ferne beim Springen zu sehen.
Luis Sendras Pulpo kommt inzwischen aus der Fischauktionshalle in Dénia, auch Seeigel, Gambas und Fisch holt er dreimal pro Woche frisch von dort, bietet mit auf der nachmittäglichen Versteigerung. Was dort über den Tresen geht, kommt von weiter draußen – und nicht aus dem Schutzgebiet. Und nicht immer ist ausreichend Pulpo dabei. Deshalb bestellt er jetzt auch beim Großhändler, bekommt die Tiere aus Galicien in Nordspanien, aus Marokko, manchmal aus Algerien. An Geschmack und Zubereitung ändert das nichts.
„Auch nicht an der Mischung aus Olivenöl und Pfeffer“, erzählt er, „die wir mit dem Pinsel auftragen, wenn wir sie zum Trocknen hängen, um Insekten fernzuhalten.“ Mit Erfolg. Sechs Boote aus Dénia sind noch für den Pulpo-Fang ausgelegt, versenken Plastiktöpfe, die hintereinander alle zweieinhalb Meter an 100 Meter langen Leinen geknüpft sind und in 40 Metern Tiefe auf den Meeresgrund abgesenkt werden. Zwei, drei Tage später werden sie wieder an Bord geholt: mit Pulpos, die die Plastiktöpfe – früher waren es tönerne Krüge – mittlerweile als Höhle erachtet und bezogen haben.
An manchen Tagen kommen sie mit nur fünf Tintenfischen wieder in den Hafen, an anderen sind es 100. „Das ist so in diesem Beruf“, sagt Antonio Seperre, der seit mehr als 30 Jahren dabei ist. „Als Fischer weißt Du nie, wie viele Du kriegst und kannst vorher niemandem etwas versprechen.“ Was Seperre ganz genau weiß ist, dass er auf jeder Heimfahrt Richtung Denia mit Tinte vollgespritzt werden wird – mal mehr, mal weniger. „Normal“, murmelt er nur und „geht mit Wasser wieder ab.“
In der Zubereitung
liegen einige Geheimnisse
Ein paar im Detail abweichende Zubereitungsvarianten für den traditionellen Pulpo Seco de Dénia, den „trockenen Pulpo nach Dénia-Art“ gibt es, der eine lokale Spezialität ist und schon 50 Kilometer weiter nördlich oder südlich allenfalls noch als exotische Überraschung auf einer Speisekarte auftaucht. Für Luis Sendra beginnt alles mit der Art und Weise der Trocknung. „Mir ist wichtig, dass das Innere der Arme noch weiß und nicht zu fest ist. Nach dem Trocknen und ebenso nach dem Garen in der offenen Flamme des Gasherds drinnen in der Küche“, sagt Sendra. Ob das sein Geheimnis ist? „Eines“, sagt er und lächelt vielsagend.
Er hält den getrockneten und nicht weiter gewürzten Krakenarm an einer Zange direkt in die Flamme des Gasherdes: „Warm muss er werden, durchgaren, aber saftig bleiben, während er außen herum bräunlich wird. Das geschieht je nach Dicke oder Flamme in zwei bis drei Minuten“.
Anschließend wird der Arm mit einem sehr scharfen Messer diagonal in etwa münzdicke Scheibchen geschnitten, mit ein paar Spritzern Zitrone und etwas Olivenöl beträufelt – und serviert. Meistens als Vorspeise, ohne Dipp, ohne Soße, fast immer mit hellem Brot. Er schmeckt etwas rauchig, manchmal rußig, ohne dass das stört. Er schmeckt nach Salz, nach Meer, fischig und irgendwie herb, frisch durch die Zitrone, ist saftig durch das Öl.
Der Trick von José Manuel Lopez Iglesias funktioniert anders – und wahrscheinlich hat Lopez den Michelin-Stern für sein Restaurant „Peix i Brases“ in Dénia auch für seinen Pulpo Seco bekommen. Bei ihm landet er auf dem Grill, wird immer wieder gedreht, gewendet und ist dann fertig, wenn einzelne klare Tröpfchen aus der mittleren Faser in die Glut tropfen. Lopez liebt den Pulpo: so und in anderen Varianten – und jedenfalls so sehr, dass er sich schon früh in seiner Küchenchef-Karriere lauter Kraken auf seinen rechten Unterarm hat tätowieren lassen. „Ein bisschen Platz ist noch frei“, sagt er. „Für andere Meerestiere.“
Fast kein Restaurant mit mediterraner Küche kommt hier ohne den Pulpo aus, sogar eine sogenannte „Pulperia“ am Hafen gibt es, wo sich fast alles um dieses Tier dreht und auch Pulpo-Kroketten auf der Karte stehen. Ob Sendra ihn noch sehen kann, noch essen mag? „Na klar, sehr gern sogar“, sagt er und nascht in der Küche schnell ein Scheibchen. An einem Stand in der Markthalle von Dénia werden in Salz konservierte Krakenarme verkauft: an Einheimische und Urlauber.