Stadtführer machen Theater: “Textour“ durch Berlin

Berlin (dpa) - Textouren ist eine theatralische Stadtführung durch das Berliner Regierungsviertel. Buchstäblich wird die Stadt in Szene gesetzt - Geschichten, Gedichte und Lieder verweben sich zu einem Kriminalfall.

Immer samstags steht am Brandenburger Tor ein adrett gekleideter Mann. Er ist dazu noch eloquent. Er ist Stadtführer, aber auch Schauspieler. Wenn er vor dem Reichstag steht, dann rattert er nicht Fakten zum Kuppelbau herunter. Sondern er rezitiert aus dem Gedicht von Robert Gernhardt „11. Januar 1998 - Er fährt an der Berliner Reichstagsbaustelle vorbei“. Der Stadtführer zeigt theatralisch auf den Bundestag und spricht die Worte: „Hier wird der Hauptstadt neues Haupt entstehen.“

Was bei diesem Rundgang durch das Regierungsviertel entsteht, ist eine kleine Wundertüte. Wer hier mitgeht, der wird in einen Sog von literarischen Texten und Liedern gerissen - und in einen Kriminalfall noch dazu. Diese Mischung aus Schauspiel, Literatur und Stadtführung nennt sich „textouren“. In Hamburg gibt es diese Abenteuerrundgänge seit vier Jahren. Thema dort ist meist die Seefahrt, der Hafen, die Melancholie. Hier in Berlin geht es eher um das verdorbene Politikgeschäft, überehrgeizige Journalisten und die Frage nach Verantwortung und Wahrheit.

Obwohl die Themen ernst klingen, wird die Tour plötzlich zu einer komischen Angelegenheit. Denn der Stadtführer testet sein Publikum. Er prüft anhand eines „Punktesystems“, wie verantwortungsvoll die Leute sind. Er fragt in die Runde: „Wie sind Sie zum Brandenburger Tor gekommen?“ Die Radfahrer bekommen Punkte. Er fragt: „Wann haben Sie das letzte Mal ihrer Nachbarin geholfen?“ Eine Frau sagt nach langem Schweigen: „Nie“. Das gibt Gelächter und vom Stadtführer die Quittung: „Keine Punkte.“

Beim gesamten Rundgang geht es letztendlich aber auch um Wahrheitsfindung. Mit einer dazugestoßenen Journalistin kommt der Kriminalfall ins Spiel. Nun schlüpft der Stadtführer in die Rolle eines Pressesprechers eines Bundestagsabgeordneten. Die Reporterin bedrängt den bisher so aalglatten Sprecher mit unangenehmen Fragen. Es geht um einen Doktor Mauer. Und spätestens dann wird klar, dass „Der Fall Mauer“ nichts mit dem wirklichen Mauerfall zu tun hat.

Wie auf einer Schnitzeljagd werden auf der Rundtour am Spreeufer entlang rote Briefe mit literarischen Nachrichten hinterlassen. Gedichte von Heinrich Heine, Friedrich Hölderlin oder Ingeborg Bachmann umrahmen den Plot. Und immer begegnet einem eine Dame im roten Abendkleid, die Lieder von Bertolt Brecht singt auf Statuen oder Brücken und damit versucht den Zuschauern eine Hilfestellung zu geben.

„Den meisten Menschen fehlt der Zugang zu Gedichten oder Liedern“, sagt die Gründerin von „textouren“, Magdalena Bössen. Die 31 Jahre alte ausgebildete Rezitatorin hatte irgendwann die Idee das zu ändern. Die Rundgänge machen eine Stadt zu einer kleinen Bühne. „Die Plätze und Orte werden neu belebt.“ Bössen schrieb den Text zu dem Berliner Rundgang mit dem Titel „Der Fall Mauer“, das am Samstag Premiere feierte.

Während Berlin dann auch in der Abendsonne im roten Licht erscheint, neigt sich die Tour dem Ende zu. Des Rätsels Lösung folgt in einem Schlussakt - bei einem Glas Sekt in einem Raum der Viadrina School of Governance.

Service:

Die Krimitour „Der Fall Mauer“ wird immer samstags ab 20 Uhr noch bis 15.10. dieses Jahres aufgeführt. Die nächsten Termine sind 18.6., 25.6., 2.7., 9.7., 16.7., 23.7. und 30.7. Preis: 55 Euro, inklusive Getränke und Imbiss.