Grampians: Schweißtreibender Aufstieg zum Traum-Panorama
Melbourne. Die Pläne sind gemacht: Ich verlasse Melbourne. In ein paar Tagen werde ich im Flieger nach Sydney sitzen, die Ostküste hinaufreisen, Freunde besuchen. Und dann steige ich in einen anderen Flieger, der mich nach Bangkok bringen wird.
Es heißt also: Tschüss, Australien - oder wie die Einheimischen sagen würden: Bye bye, Straya!
Aber ein letztes Abenteuer im Bundesstaate Victoria muss noch sein. Und so fahre ich raus in die Grampians. Mit Victoria, meiner inzwischen erprobten Roadtrip-Gefährtin. Über die Grampians hatte ich vorher nur gehört, dass sie Berge und schöne Aussichten haben. Wie schön - das soll ich erst am zweiten Tag herausfinden.
Als wir an Tag eins unseres Trips in Halls Gap ankommen, hängen dunkelgraue Wolken über dem Dorf und dem gesamten Nationalpark. Wacker fahren wir trotzdem hinauf zu den MacKenzie Falls, einem spektakulären Wasserfall, und zu The Balconies mit freier Sicht über grün bewaldete Berge. Aber mit kalten Böen, die uns Sprühregen ins Gesicht klatschen, ist das Vergnügen so getrübt wie der Himmel. Also tun wir das, was wir am allerbesten können: einkehren. Im Kookaburra Hotel bekommen wir zum lokalen Rotwein ein offenes Kaminfeuer. Fast ein bisschen Alpenromantik.
An Tag zwei wache ich unmenschlich früh auf und schleiche aufgeregt ans Fenster: blauer Himmel und Sonnenschein! Also werfe ich Victoria aus den Federn und scheuche sie Richtung Parkplatz Wonderland. Von hier aus führt ein Track, der mit 2,3 Kilometern machbar klingt zu The Pinnacle, einem berühmten Aussichtspunkt. Was die Schilder nicht sagen: Der Weg führt zumeist über nackten Fels, durch einen steilen Canyon und über ein paar in den Berg gehauene Stufen. Immer wieder bleibe ich mit der Entschuldigung stehen, ein Foto von der tollen Aussicht machen zu wollen - in Wahrheit will ich bloß verschnaufen. Als wir endlich oben sind, sind Victoria und ich in zwei Dingen einig: Es wäre definitiv an der Zeit, einzukehren. Und: Die Sicht war es wert. Hunderte Kilometer weit können wir ins Flachland von Victoria blicken. Über Wald, Felder, einen See.
Mir als Höhenangstpatientin wird allerdings körperlich unwohl bei dem Anblick der dilettantisch gleich am Abgrund herumkraxelnden Touristen. Ich pirsche mich eher zurückhaltend vor gen Felskante und krieche sogar mal auf allen Vieren. Aber tatsächlich habe ich eine solche Aussicht vermutlich noch nie erlebt. Nach einer halben Stunde habe ich trotzdem genug mit meiner Phobie gespielt und wir beginnen den Abstieg, von dem ich mir fröhliche Entspannung erhoffe - aber tatsächlich geht Bergablaufen ja auf Dauer auch total in die Beine, stelle ich fest. Das Rheinland hat eindeutig zu wenige Berge.
Nach dieser Wanderung sind Victoria und ich fest entschlossen, beim nächsten Winzer zu halten. Die Grampians sind schließlich Weingebiet, wir verkaufen Weine von hier im Teatro in Melbourne. Wo genau die allerdings angebaut werden sollen, ist mir ein paar Stunden später immer noch ein großes Rätsel. Alles, was wir finden, sind weitere Gelegenheiten, zu laufen. Zu den Silverband Falls, die eigentlich ein den Fels herabtröpfelndes Rinnsal und die Mühe nicht wirklich wert sind. Den Mount William hinauf, was der Besitzer unseres kleinen Motels in Halls Gap als "Easy Walk" - also einfachen Spaziergang - angepriesen hatte; am Parkplatz warnen Schilder allerdings schon, dass es eher anstrengend werde und nach einer Dreiviertelstunde steilen Aufstiegs, schnaufend und mit einem bösen Ziehen vom Po bis in die Waden, würden wir am liebsten umdrehen, zurückfahren und den Herbergsvater verdreschen - allerdings wissen wir jetzt ja schon, dass in dieser Richtung auf keinen Fall Wein zufinden ist. Und die Aussicht ist es auch in diesem Falle wert.
Als wir Richtung des 65 Kilometer entfernten Dunkeld fahren, geht die Sonne bereits unter. Uns hängt der Magen bis in die Kniekehlen. Dunkeld entpuppt sich erwartungsgemäß als Nest - aber der Anblick des Pubs begeistert uns fast mehr als die Weitsicht von The Pinnacle aus. Das Essen ist Mist, aber es gibt lokalen Shiraz (wo auch immer der wächst!) und wieder offenes Feuer. Nach zweieinhalb Stunden Heimfahrt nach Melbourne falle ich so erschöpft ins Bett, wie ich es seit den Zeiten auf der Cattle Station im Outback nicht mehr erlebt habe. Ein perfektes letztes Abenteuer. Und eine erste kleine Regung von Abschiedsschmerz.