Schweinejagd: Volkssport im Northern Territory

Northern Territory. Reisen bildet, sagen die Leute immer. Manchmal allerdings, so habe ich festgestellt, zeigt es einfach die Dinge auf, die man im Leben nicht verstehen wird. So wie den Volkssport im Northern Territory Australiens: Pig Hunting.

Jillaroos mit dem erlegten Wildschwein. So wird in Australien mit der Beute posiert, dafür gibt es sogar Zeitschriften.

Foto: Juliane Kinast

Shannon und sein Kumpel Matthew sind übers Wochenende raus auf die Cattle Station gekommen. Sie schrauben an den uralten Schrottmühlen der Farm herum und dürfen dafür nachts auf die Pirsch gehen.

Das tut in diesem Staat des fünften Kontinents offenbar jeder Kerl, der Arme und Beine bewegen kann. Die Waffen: Hunde in gepanzerten Westen und ein Messer. Das Ziel: So große Wildschweine wie möglich mit so große Zähnen wie möglich erlegen. Und wenn ich von Volkssport spreche, so meine ich das vollkommen ernst. Es gibt sogar so genannte "Dog a Hog"-Wettbewerbe, für die australische Jäger zwei bis drei Nächte ohne Schlaf auf der Lauer liegen und dann mit einem in der Hitze halbverwesenden Schweinekorpus auf der Ladefläche des Ute zur Wettkampfzentrale fahren, um den Kadaver wiegen zu lassen und eine kleine Trophäe abzusahnen.

Als Cowgirl im australischen Busch
36 Bilder

Als Cowgirl im australischen Busch

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Nun also Shannon und Matthew, die uns Mädchen auf der Station prompt anbieten, mal eine Nacht mit auf die Jagd zu gehen. Ich muss gleich vorwegschicken, dass ich Töten zur Belustigung noch nie kapiert habe und als deutsche Großstädterin/Vegetarierin natürlich reichlich skeptisch bin; aber andererseits habe ich in den vergangenen viereinhalb Monaten ja nichts anderes gemacht, als Skepsis zu überwinden, und überhaupt soll man auf Reisen ja aufgeschlossen und bisweilen sogar ein bisschen verrückt sein. Also willige ich ein und hocke mich mit einer Dose Bier - wenig überraschend gehört diese in Australien zum Schweinejagd-Volkssport dazu - auf die Ladefläche von Shannons Auto. Gleich neben den Hundekäfig mit Boof, Bella und Lucky.

Und so gondeln wir durch den Busch. Schotterpiste rauf, Schotterpiste runter. Aufmerksam beäugt Shannon seinen Rüden Boof, der jetzt auf der Ladefläche herumstromern darf. Nach Sonnenuntergang packt er einen Scheinwerfer aus, mit dem er ins hohe Gras rechts und links leuchtet. Und dann fängt Boof plötzlich an, irritierend mit dem Kopf zu schlenkern. Matthew auf dem Fahrersitz legt sofort eine Vollbremsung hin. Und schon ist Boof von der Ladefläche und im Gebüsch verschwunden. Nur den kleinen Leuchtstab an seinem Halsband sieht man in der Dunkelheit davonspringen. Shannon befreit Bella und Lucky, und dann rennen wir alle mit GPS-Geräten in der Hand (die Hunde sind schwer verdrahtet) hinterher durchs Unterholz.

Das Gequieke eines Schweines verrät mir, dass wir auf der richtigen Fährte sind. Und dann fängt Shannons Taschenlampe die Szene ein: Ein über 100 Kilo schwerer, rabenschwarzer Eber windet sich dort, an seinen Ohren zerren die drei Hunde - wie sie es von der Pike auf gelernt haben. Dann greift Matthew ein, zückt das Messer und sticht dem Schwein geübt mitten ins Herz. Die Jagd ist vorbei, das Tier erlegt. Es folgt das unvermeidliche Drapieren des Schweins und das Posieren hinter selbigem für Fotos. Man will beim nächsten Besuch im Pub schließlich herzeigen, was man erwischt hat.

Und dann muss noch Boofs Schulter getackert werden: Der Keiler hat ihn mit seinen Riesenzähnen an der Schulter erwischt; bis zum Muskel klafft die Wunde. Versorgt wird sie rasch auf der Ladefläche des Wagens, bevor es weitergeht - auf der Suche nach dem nächsten Schwein. Volkssport in Australien verlangt ein bisschen mehr Härte von Mensch und Tier als Erst-Liga-Fußball in unseren Breitengraden. Es war schon eine hübsche Action. Allerdings muss man eingestehen - mal abgesehen davon, dass sich mir die Unterhaltsamkeit von jedweder Art des Tötens noch immer nicht erschlossen hat -, dass Pig Hunting auf der Suche nach dem zu erlegenden Schwein doch einfach nur eines ist: nächtliches Rumgegurke im Busch. Ich bin todmüde und unsagbar dankbar, als Shannon das erkennt und anbietet, mich im Arbeitercamp abzusetzen.

Am nächsten Morgen wird er mir beim Frühstück mit aufgeregt glänzenden Augen, aber fast schwarzen Tränensäcken erzählen, dass er in dieser Nacht 17 Schweine erwischt hat. Und ich werde anerkennend nicken. Und mich freuen, dass ich so gut und lange geschlafen habe.