Herr Abstreiter, wie groß ist die Umstellung vom Vereins- zum Nationaltrainer?
Eishockey: U20-Bundestrainer Abstreiter im Interview „Ausnahmesituation mit Ausnahmespielern“
Düsseldorf/Füssen · Tobias Abstreiter, langjähriger Co-Trainer der DEG und nun Chef der U 20-Nationalmannschaft, über die Lage in Düsseldorf, die vielen neuen Talente im deutschen Eishockey und die anstehende Junioren-WM in Tschechien.
Bis zum Sommer war Tobias Abstreiter fünf Jahre lang Assistenztrainer der Düsseldorfer EG. Dann wechselte er zum Deutschen Eishockey-Bund (DEB) und wurde Trainer der U20-Nationalmannschaft. Derzeit bereitet Abstreiter den besten Kader seit Jahren auf die U 20-WM in Tschechien vor (26. Dezember bis 5. Januar).
Tobias Abstreiter: Die tägliche Arbeit bei der DEG war doch etwas anders. Die Vorbereitung auf eine Weltmeisterschaft ist deutlich länger als die auf Ligaspiele, dafür wird sie aber immer wieder unterbrochen. In den Phasen hast du als Trainer natürlich andere Aufgaben: Maßnahmen planen, Gespräche führen, die Stammspieler scouten, andere Spieler ansehen, die vielleicht in Frage kommen.
Fehlen Ihnen die tägliche Arbeit und die ständige Bestätigung? Als Vereinstrainer gibt es ja ständig Spiele, bei einer Nationalmannschaft weiß man über Monate nicht, wo man steht.
Abstreiter: Das stimmt. Wir haben zwar zwei Turniere gespielt, eins im August, eins im November, aber da hast du nur einen gewissen Anhaltspunkt. Im Endeffekt weißt du nicht genau, wo die Reise hingeht. Deswegen stimmst du die Inhalte anders ab, nicht von Woche zu Woche, sondern von Turnier zu Turnier. Das ist eine ganz andere Art, sich auf die Spiele vorzubereiten.
Auch zwei Düsseldorfer gehören zum Ihrem WM-Aufgebot. Torwart Hendrik Hane und Verteidiger Alexander Dersch. Was ist von denen zu erwarten?
Abstreiter: Beim Hendrik gehe ich davon aus, dass er bei der WM unser Rückhalt wird. Er wird sicherlich Spiele bekommen. Beim Alex Dersch hoffe ich, dass er sich weiterentwickelt und der Abwehr die nötige Stabilität verleiht, gerade gegen die Topnationen.
Verfolgen Sie noch die DEG?
Abstreiter: Ja, die DEG und generell die DEL sowie die DEL 2 sind ein ständiges Thema.
Wie schätzen Sie die Lage ein?
Abstreiter: Das ist im Moment eine schwierige Phase. Alle anderen Mannschaften haben nach dem Deutschland-Cup angezogen, es ist jetzt wahrscheinlich eine andere Intensität auf dem Eis, und da muss die DEG auch wieder hin. Dass es nicht von alleine kommt, dass es nicht leicht fällt, sondern dass man jetzt in der Phase mehr tun muss, um Spiele zu gewinnen.
Zurück zur U20: Es ist gerade viel von der „goldenen Generation“ des deutschen Eishockeys die Rede. Sehen Sie das ähnlich?
Abstreiter: Es ist schon eine Situation, die man nicht jedes Jahr vorfindet. Mit Dominik Bokk und Moritz Seider sind zwei Erstrundenpicks (bei der jährlichen Talenteziehung der nordamerikanischen Topliga NHL, Anm.d.R.) dabei, im nächsten Draft werden weitere deutsche Spieler von NHL-Vereinen gezogen. Das ist für uns eine Ausnahmesituation mit Ausnahmespielern. Aber das heißt nicht, dass alles von alleine kommt und wir ein Topturnier spielen werden. Wir werden uns nicht nur über die Spieler, die im Fokus stehen, definieren. Der Erfolg kann nur über mannschaftliche Geschlossenheit kommen. Das muss in allen Köpfen verankert sein.
Hat das deutsche Eishockey einfach Glück, dass es aktuell mehrere Ausnahmetalente gibt oder ist das ein Ergebnis von strukturell besserer Arbeit?
Abstreiter: Ich denke, dass mit jungen Spielern gut gearbeitet wird und dass sie in der DEL durch die U23-Regel jetzt auch ihre Chance bekommen. Das zeigt: Wenn junge Spieler das Vertrauen bekommen, zahlen sie es zurück und können sich gut entwickeln. Und es wäre wünschenswert, wenn das noch mehr passieren würde.
Sie spielen auf die Debatte zwischen Liga und Verband an, die Stellen für ausländische Spieler in der DEL zu senken?
Abstreiter: Genau, das ist eins der Themen, es wäre schön, wenn das passieren würde.
Was bedeutet es auch in dem Zusammenhang für das deutsche Eishockey, wieder zu den besten U20-Nationen zu gehören? Ist das nur eine Momentaufnahme des aktuellen Jahrgangs oder halten sie das für langfristig wichtig?
Abstreiter: Es ist langfristig wichtig, auch in der U20 zu den Topnationen zu gehören. Da kann man sich auf dem höchsten Niveau messen und verbessern. Wenn man vergleicht, wie viele Talente in den Topligen der anderen Nationen spielen und wie viele es bei uns sind, ist da noch ein deutlicher Unterschied. Es wäre schön, wenn wir mal sagen könnten: Wir suchen uns unseren U20-Kader aus DEL-Spielern aus. Aber da sind wir noch nicht.
Die WM-Gruppe ist mit USA, Tschechien, Russland und Kanada allerdings so hart, dass es gleich wieder runter gehen könnte. Würde das den Aufschwung gefährden?
Abstreiter: Wir sind uns bewusst, dass es keine leichte Gruppe ist, aber wir sehen das eher als große Herausforderung. Klar ist, unser Ziel ist der Klassenhalt, dafür werden wir unsere beste Leistung aufs Eis bringen müssen und auch bringen. Ob uns das einen Sieg beschert, werden wir sehen. Wir wollen uns von Spiel zu Spiel steigern, und wenn eine Mannschaft vielleicht nicht ihren besten Tag hat, dann müssen wir da sein.
Ihre größten Talente sind bis auf Moritz Seider allesamt Stürmer. Gegen die Topgegner werden sie aber viel Zeit in der eigenen Zone verbringen müssen. Berücksichtigen Sie das taktisch oder sagen Sie: Unsere Stärken liegen in der Offensive, also spielen wir auch gegen Spitzenmannschaften nach vorne?
Abstreiter: Wir werden definitiv unsere Chancen bekommen, weil wir die Qualität dafür haben. Aber wenn wir gewinnen, werden wir das eher nicht mit 7:6 oder 6:5 tun, sondern vielleicht mit 3:2. Wir müssen vor allem wissen, wir wie verteidigen, so sehen auch die Trainingseinheiten aus.
Haben Sie sich schon einen psychologischen Kniff überlegt, falls Ihr Team mal nur hinterherläuft und mit einer Klatsche vom Eis geht?
Abstreiter: Wir haben auch letztes Jahr bei der A-WM mal eine Klatsche gegen Kanada bekommen (bei der Herren-Nationalmannschaft ist Tobias Abstreiter Assistenztrainer). Dann muss man halt bereit sein, schnell wieder aufzustehen. Das Gute ist: Das nächste Spiel steht gleich wieder vor der Tür, man hat direkt die Chance, sich besser zu präsentieren. Aber grundsätzlich denken wir gar nicht an eventuelle Klatschen, wir wollen gutes Eishockey spielen und kein Punktelieferant werden.