Steffi Nerius: Der ganz große Wurf und ein Buch

Daegu (dpa) - Ihre Karriere hat Steffi Nerius vor zwei Jahren in Berlin mit einem Paukenschlag beendet - jetzt kommt „Der ganz große Wurf“ als Nachhall. Diese Biografie hat die Speerwurf-Spezialistin kurz vor der Leichtathletik-WM in Daegu/Südkorea herausgebracht.

Untertitel: „Mentale Strategien einer Weltmeisterin im Alltag nutzen“. Wäre eine empfehlenswerte Lektüre für ihre Ex-Kollegen vor den am Samstag beginnenden Wettkämpfen.

Von ihrer ersten WM 1993 in Stuttgart an hat Nerius bei internationalen Meisterschaften lange nur Rückschläge einstecken müssen, bis sie auch psychisch stabiler wurde, Medaillen gewann - und 2009 mit 37 Jahren überraschend Gold holte. „Mir liefen die Tränen herunter, alle haben gefeiert und gegrölt“, erinnert sie sich an ihren letzten Wurf im Olympiastadion, als sie schon als Siegerin feststand. „Ich bin angelaufen zum unwichtigsten Wurf meiner ganzen Karriere. Emotional war es der schönste und wichtigste.“

Gefühlsmäßig ganz unten und nervlich am Ende - auch diese Momente kannte Nerius lange nur zu gut, bis ihr Sportpsychologe Ulrich Kuhl half, eine mentales Gerüst für ihre Wettkämpfe aufzubauen. In dem Buch beschreibt der Managementberater beispielsweise die Crux der Qualifikation: Drei Versuche haben die Werfer, und so manch ein hoch gehandelter Favorit ist daran gescheitert. Zwei Sichtweisen beschreibt Kuhl in dem Buch: Zwei schlechte Würfe - und dann: „Oh Gott, ich habe nur noch einen Versuch, zweimal bin ich schon gescheitert.“ Viel besser sei natürlich der Ansatz: „Ich habe drei Versuche. Jeder einzelne Wurf bietet genau gleiche Chancen. Der dritte ist nicht riskanter als der erste oder zweite.“

Aber auch Nerius erlitt beim Versuch, solche Strategien anzuwenden, Rückschläge. Bei der WM 2007 in Osaka war der Olympia-Zweiten nur noch übel vor Nervosität. Verzweifelt heulte sie sich bei ihrem Trainer Helge Zöllkau aus: „Ich bin fix und fertig, ich freue mich überhaupt nicht auf den Wettkampf. Ich will diese ganze Aufregung nicht mehr und bin es einfach leid.“ In einem eigentlich verkorksten Wettkampf kam sie doch noch auf 64,42 Meter - Bronze. „Warum der Speer auf einmal so weit geflogen ist, habe ich bis heute nicht verstanden.“

Auch auf ein - von Mentaltrainern empfohlenes - „musikalisches Rüstzeug“ hat Nerius gerne zurückgegriffen mit „One moment in time“ von Whitney Houston. „Dieses Lied habe ich immer wieder ganz gezielt gehört, wenn es an einem Tag super gelaufen ist und ich so richtig zufrieden war. Irgendwann hat sich der Effekt umgekehrt. Jedes Mal, wenn ich das Lied höre, bekomme ich gute Laune.“

Die ist der „Sportlerin des Jahres 2009“ auch nach ihrem Rücktritt nicht vergangen. Selten hat eine Spitzenathletin so einen krönenden Abschluss erlebt wie Nerius mit ihrem WM-Triumph von Berlin. Heute arbeitet die Diplom-Sportlehrerin als Trainerin für Behindertensportler bei Bayer Leverkusen, sie ist persönliches Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund und bei der Deutschen Sporthilfe tätig. „Aus heutiger Sicht kann ich sagen, es war ein riesengroßes Glück, dass am Ende alles so gut zusammenpasste“, sagt die Weltmeisterin. „Das berühmte Loch, in das manche so nach einem Wechsel der eigenen Lebensumstände fallen, spüre ich überhaupt nicht.“

Vom Beharrungsvermögen der Ex-Speerwerferin können sich die deutschen Leichtathleten einiges abschauen. Ihrer Biografie hat Nerius einen Satz vorangestellt: „Herausforderung: Für viele ist der Weg am ersten Hindernis zu Ende. Für Erfolgreiche fängt er jetzt erst an.“