Düsseldorfer Beuys-Schau als Besucher-Magnet
Düsseldorf (dpa) - Dass die Speckschwarte in der Vitrine nach einem Vierteljahrhundert nicht schimmelt, wundert Heinz Baumüller. Und er fragt sich auch, wie sich die Rasierklinge auf der rostigen Eisenplatte hält.
Dann findet er eine winzig kleine Kerbe.
„Jetzt hab ich wieder was kapiert“, freut sich Baumüller. Der aus Österreich stammende Bildhauer (60) ist Stammgast bei Joseph Beuys. Schon mehr als 40 Mal war er in der großen Retrospektive „Parallelprozesse“ in der Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen. Da fragt man sich, ob es nicht spätestens beim zehnten Mal langweilig wird.
Überhaupt nicht, findet Baumüller. Zwei, drei Mal pro Woche wandert er eineinhalb bis sechs Stunden durch die Beuys-Ausstellung. Eintritt muss er nicht zahlen, er hat eine Künstlerkarte. Eine Pause hat er nur eingelegt, als er zwei Wochen nach Österreich reiste.
300 Objekte des Künstlers mit dem markanten Filzhut hat Baumüller unter die Lupe genommen. Darunter sind zehn Rauminstallationen wie die mit Filz und Speck bepackte Schlitten-„Meute“ oder das tonnenschwere Bronze-Objekt „Blitzschlag auf Lichtschein mit Hirsch“. Und jedes Mal entdeckt er neue Details. Zum Beispiel, dass in jedem der 35 wurmartigen „Lehmlinge“, die um die Hirsch-Bronze herum liegen, ein anderes Werkzeug steckt.
„Keine Ausstellung habe ich so oft besucht wie diese“, sagt Baumüller. Beuys (1921-1986) sei einer seiner wichtigsten Lehrer gewesen. Und weil sich der studierte Bildhauer Baumüller trotz seiner 60 Jahre immer noch als Student begreift, ist für ihn der Besuch der Ausstellung auch eine Art Studium. 1979 hat Baumüller Beuys kennengelernt. Mit dem Kunstprofessor hat er einst auch eine Kunstaktion in Düsseldorf gemacht - einen Baumstamm zersägt, von dem ein Teil auch in der Ausstellung gezeigt wird.
Baumüller kennt jeden Aufsichts-Mitarbeiter in der Kunstsammlung persönlich, er wird freundlich begrüßt. „Eigentlich beneide ich die Mitarbeiter, sie werden dafür bezahlt, jeden Tag in der Ausstellung zu sein.“ Baumüller kann aber auch jede Fachfrage beantworten. Er weiß zum Beispiel ohne lange nachzudenken, dass die rechte Säule des Theken-ähnlichen Beuys-Objekts „Fonds IV“ aus Eisen und Kupfer besteht.
„Bei Beuys soll man gar nicht versuchen, lange zu interpretieren“, sagt Baumüller über das bizarre bis skurrile Werk des Künstlers, für den jedes Material - ob Filz, Fett oder Honig - auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung hatte. Besser sei es, die Objekte genau zu beschreiben. „Ob man es verstanden hat oder nicht, ist letztlich Wurscht“. Hinschauen müsse man aber schon genau, sagt Baumüller, der für seine oberösterreichische Heimatgemeinde Kollerschlag nahe der bayerischen Grenze eine „Josephsglocke“ geschaffen hat - mit der Silhouette von Beuys.
Ab und zu hat Baumüller auch ein Fernglas dabei. So weiß er inzwischen, dass in den Kästen unter den Leichenbahren der Installation „zeige deine Wunde“ Reagenzgläser mit skelettierten Vogelköpfen stecken. In dem raumfüllenden Objekt „Palazzo Regale“ wiederum würde Baumüller am liebsten jeden Tag eine halbe Stunde stehen. Dort schaut er dann bei dem in einer Vitrine liegenden Speck nach, „ob er nicht irgendwann anfängt zu schimmeln“. Aber Baumüller weiß sowieso: „Bei Beuys ist nie etwas verfault.“
Seit September hat die Beuys-Schau fast 70 000 Besucher angelockt. Bis zum Ende am 16. Januar wird ihr treuester Gast die 50 locker schaffen. „In die meisten Ausstellungen geht man rein, guckt sich kurz um - und kann auch schon wieder rausgehen“, sagt Baumüller. Eine Schau zu Vermeer würde er sich aber „mindestens 37 Mal“ ansehen. Und Andy Warhol oder Leonardo da Vinci wären für ihn „bestimmt nicht unter 20 Mal abgetan.“