Govert Flinck stach Maler-Genie Rembrandt aus
Kleve (dpa) - Im ersten Moment denkt man, es ist Rembrandt: Das rote Barett auf dem Kopf, der aufgestützte Unterarm, der Schnäuzer, der selbstbewusste Blick - das alles sieht genauso aus wie auf einem der berühmtesten Selbstbildnisse des holländischen Maler-Genies.
Auf den zweiten Blick sieht man allerdings: Die Kartoffelnase und die dicken Backen fehlen. Der Mann da spielt zwar Rembrandt, aber er ist es nicht. Es ist noch nicht mal ein Holländer, sondern ein gebürtiger Deutscher. Sein Name: Govert Flinck. Zum ersten Mal seit 50 Jahren wird ihm jetzt wieder eine Übersichtausstellung gewidmet - im Museum Kurhaus in Kleve, dem Ort, wo er vor 400 Jahren zur Welt kam.
Rembrandt muss Govert Flinck verflucht haben. Zuerst war er sein gelehriger Schüler, schaute sich alle Kniffe von ihm ab, aber dann machte er seine eigene Firma auf und überflügelte den Meister. Er schnappte ihm die reichsten Kunden und die dicksten Aufträge weg. Warum? Er war marktorientiert, und Rembrandt war es zumindest in den letzten 20 Jahren seines Lebens nicht mehr. Er ging keine Kompromisse ein und verschloss sich dem heiteren, detailverliebten Stil, der nun in Mode gekommen war.
Govert Flinck dagegen ging mit der Zeit, wie die Ausstellung in Kleve vorführt: „Mit viel Mühe und Arbeit“, so ein zeitgenössischer Biograf, trainierte er sich Rembrandts eigenwilligen Stil mit dickem Farbauftrag wieder ab. Er schuf Porträts der Reichen und Mächtigen und verherrlichte je nach Auftraggeber republikanische oder monarchische Tugenden.
Das war aber nicht der einzige Grund für seinen Erfolg: Während Rembrandt als „ausgesprochen launisch“ und exzentrisch galt, erschloss sich der geschmeidige Flinck Kundenkreise bis hinauf zum Kurfürsten von Brandenburg. Als 1655 das neue Amsterdamer Rathaus fertiggestellt wurde, sollte er sämtliche Bilder dafür malen. Es war der größte Auftrag, der in Hollands Goldenem Zeitalter überhaupt vergeben wurde. Tragischerweise starb Flinck, bevor er ihn vollenden konnte, mit nur 45 Jahren. Rembrandt durfte danach ein einziges Bild für das Rathaus zuliefern - aber das gefiel nicht und wurde zurückgewiesen.
Im Rückblick betrachtet, hat Rembrandt natürlich alles richtig gemacht. Gerade weil er nicht bereit war, seine künstlerischen Überzeugungen dem Zeitgeschmack zu opfern, gilt er heute als einer der Großen. Und der arme Flinck ist auf ewig der glatte Karrierist.
„Dennoch ist es heute schon so, dass Flinck auch wieder als eigenständiger Künstler wahrgenommen wird“, erläutert Museumsdirektor Harald Kunde. Er ist glücklich, 30 repräsentative Gemälde - und nochmal ebenso viele Zeichnungen und Grafiken - aus den großen Museen der Welt ins kleine Kleve geholt zu haben. Die Ausstellung gewinnt zusätzlich durch Arbeiten, mit denen der israelische Videokünstler Ori Gersht aus London auf Flinck reagiert. Gersht hat sich zum Beispiel Folgendes ausgedacht: Besucher können sich im Museum scannen lassen, und anhand dieser Daten erstellt eine Firma anschließend eine kleine 3-D-Porträtfigur. Kosten: ca. 80 Euro.
„Damit will ich dem Besucher wieder ein Gefühl dafür geben, dass es früher etwas ganz Besonderes war, sich porträtieren zu lassen“, erklärt Gersht der Deutschen Presse-Agentur. „Heute im Selfie-Zeitalter können wir uns ja gar nicht mehr vorstellen, was für ein magischer Moment es gewesen sein muss, wenn man damals plötzlich sein eigenes Gesicht auf einer Leinwand erscheinen sah.“