Aqualung: Zu klassisch für einen Popstar

Matt Hales alias Aqualung zerreibt sich auf seinem dritten Album zwischen dem Ehrgeiz, seiner klassischen Ausbildung gerecht zu werden, und der Erwartungshaltung seiner Fans.

<strong>Düsseldorf. So viel steht fest! Matt Hales hat es sich nicht leicht gemacht mit "Memory Man", dem dritten Album, das er unter dem etwas gespreizten Pseudonym Aqualung veröffentlicht. Eindrücke seiner monatelangen US-Tour hat der Engländer verarbeitet, die Ausdehnung der Zweisamkeit mit seiner Freundin zur Familie, als vor drei Jahren sein Sohn zur Welt kam, das unausgeglichene Pendeln zwischen olympischem Hochgefühl und betrüblichem Durchschnittsdasein, nachdem das zweite Album von der kaufenden Masse weitgehend unbeachtet blieb. Aber, mal ganz ehrlich, welcher Künstler, der ein paar Jahre dabei ist, hat das noch nicht erlebt?

Mit 17 dirigierte Matt Hales bereits ein 60-köpfiges Orchester

Bleibt neben diesem unspektakulären Themenpool, den Hales mit philosophischer Beredtheit textlich mystifiziert, das spürbar herausragende Können des Multiinstrumentalisten, der als Musik-Stipendiat des Winchester College im Alter von 17 bereits ein 60-köpfiges Orchester dirigierte - zu einer von ihm komponierten Symphony wohlgemerkt. Auf platte Akkordfolgen im eingängigen C-, A-, F-, G-Wechsel, der die Popmusik wie ein lästiger Ölfilm durchzieht, lässt sich der 35-Jährige nicht ein. Seine Kompositionen sind tatsächlich der Versuch, die Grenzen gängiger Melodiestrukturen zu sprengen, um sie zu etwas Neuem zusammenzusetzen, das die Hörgewohnheiten herausfordert, aber nicht überanstrengt.

In den USA erfuhr Hales künstlerische Aufbauhilfe

Auf den beiden Vorgängern, dem vielbeachteten "Aqualung" sowie dem bereits erwähnten Ladenhüter "Still Life", ist ihm das so gut gelungen, dass die berauschenden Singles "Strange and Beautiful" und "Brighter Than Sunshine" zu so genannten Sleeper-Hits wurden, Nummern, die sich erst nach mehrmaligem Hören durchsetzten und auf den Wunschlisten der Radiostationen monatelang ganz oben rangierten.

Hales schien seinem Ziel, vom Konservatoriumspianisten zum Popstar aufzusteigen, zum Greifen nah, strandete aber in seiner Heimat, folgte schießlich dem Ruf in die USA, wo seine Musik durch den Einsatz in Hitserien wie "Grey’s Anatomy" und "Scrubs" Furore machte. Diese künstlerische Entwicklungshilfe ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Hales "Memory Man" in den Staaten bereits im März veröffentlichen ließ.

Dieser Testballon erreichte passable Flughöhe, in den Staaten steuert das Album immerhin auf Gold-Status zu. Dass allerdings nicht mehr dabei herausspringt, dass Hales auch diesmal lediglich die Stufe zum ambitionierten Jungstar nimmt, ohne an Superstarweihen auch nur ansatzweise zu schnuppern, ist seiner tüfteligen Selbstvergessenheit geschuldet, seiner Fähigkeit, sich mit der Musik auseinanderzusetzen, und sie nicht zum Mittel zum Zweck werden zu lassen, wie es zielstrebigere Komponisten wie Coldplay-Frontmann Chris Martin oder Keane-Mastermind Tim Rice-Oxley seit geraumer Zeit zu tun pflegen.

Dieser Anspruch, den Hales an sich selbst setzt, bringt ihm natürlich zunächst jede Menge Pluspunkte ein. Die angenehme Ambition versickert allerdings hinter den unentschlossenen Songs, die Pop sein wollen, auf halber Strecke aber als Experimentalvehikel verharrt. Nicht in jedem Fall, aber der Gesamteindruck ist bleierne Unvollkommenheit.

Kurzkritik Wenn Matt Hales an seinem Dasein zweifelt, kann das Ergebnis traurigschön sein, wie auf seinen ersten beiden Alben, deren Essenz auf dem US-Sampler "Strange and Beautiful" (erhältlich bei Amazon) zu finden ist. Auch für "Memory Man" greift der Ex-Musikstudent tief in die Trickkiste akustischer Fehlfährten, lässt Frauenchöre anschwellen, Elektronikspreißel im Hintergrund schwirren, ätherische Bläser erklingen und seine Stimme durch den Vocoder zerren. Im Zentrum des Geschehens bleibt das Klavier, das seine wohlfeilen, teilweise aber haltlosen Melodien verklärt. Ein Album mit vielen Fragezeichen und Kommata, aber ohne Punkt, geschweige denn einem Ausrufezeichen.

Highlights Sinnvoll war die Auskopplung des von Breakbeats durchsetzten "Pressure Suit" als Single, ein in sich geschlossener Schrei nach Liebe. Ebenso rührend ist die Piano-Ballade "The Lake".